Wie ist es wohl, eine Fledermaus zu sein?
„Abendflüge“ – auf inspirierende Weise beobachtet Helen Macdonald unsere lebendige Umwelt
Von Irmtraud Gutschke
Jeder Schriftsteller habe wohl ein bestimmtes Thema, „das untereschwellig allem, was dieser Schriftsteller schreibt, zugrunde liegt“. Bei ihr sei es „in allererster Linie die Liebe zur schillernden Welt des nichtmenschlichen Lebens um uns herum“, bekennt Helen MacDonald in der Einführung zu ihrem mitreißenden Buch „Abendflüge“. Auf dem Schutzumschlag sieht man einen Mauersegler, der in der gleichnamigen Erzählung auch eine Rolle spielt. Allerdings ist es in diesem Falle ein toter, den die Autorin mit zu sich nach Hause nahm und ins Gefrierfach legte. Später begrub sie ihn in ihrem Garten. Aber sie erzählt in diesem Text nicht nur vom Leben dieser Vögel, die an verborgenen Orten nisten, „in dunklem und engem Umfeld: in Hohlräumen unter Dachziegeln, hinter den Öffnungen für Lüftungsschächte, in Kirchtürmen“ und die einen gigantischen Schlund haben, so dass sie ihr wie ein Miniatur-Riesenhai erscheinen, immer wieder kehrt sie auch zu Kindheitserinnerungen zurück, zu ihren Einschlafritualen damals und heute, ihrer Lektüre , ihren Recherchen.
Aus 41 solchen einzelnen Texten besteht das Buch – Natur- und Selbstbeobachtungen, mit denen die US-amerikanische Autorin auf eine ganz eigene Weise mit ihren Lesern im Gespräch ist. Sie knüpft sozusagen ein Band gegenseitigen Verstehens, das bei ihr auch etwas Magisches hat, in dem Sinne, dass alle Dinge, die „außerhalb des Verstehens exisistieren, magisch sind“. Zwar wollen wir uns im Wechselspiel mit der Natur begreifen, auch in der Bedrohung, die von dem menschlichen Unterwerfungswillen ausgeht, wir möchten vielleicht frei wie ein Wiesel sein, aber wirklich hineinversetzen können wir uns nicht einmal in Tiere, die uns ganz nahe sind.
Da müssen wir uns mit Beobachtungen zufriedengeben, wie sie Helen Macdonald auf höchst inspirierende Weise mit uns teilt – ob es fliegende Ameisen sind oder Ziegen, mit denen sie als Kind gern spielte, doch der Vater erschreckte sie mit „Ziegendrücken“. „Man kann nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, indem man die Augen zusammenkneift, so tut, als hätte man Gleitmembranen, und sich einen Weg durch die Dunkelheit sucht, indem man in Tönen zu ihr Spricht, die einem in der Gestalt der Welt antworten.“ Man kann es nicht wissen, aber sich vorzustellen, wie es sein mag, ist einen Versuch wert.
Helen Macdonald: Abendflüge. Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer. Carl hanser Verlag, 352 S., geb., 24 €.