Geborgenheit, wenn alles unsicher scheint
Von Irmtraud Gutschke
Schon viel ist darüber geschrieben worden, wie unserer heutigen Lebenswirklichkeit Verlässlichkeiten schwinden, allein schon dem Ort, wo man lebt. Grenzen fallen, neue Techniken verunsichern. Hinzu kommen ökonomische Probleme, die unübersehbar sind. Das Bedürfnis nach Heimat ist ein Gegenpol. Für die einen nicht mehr o wichtig, beherrscht es andere umso mehr – bis hin zur Abwehr jeder Veränderung, einem rückwärts gewandten Nationalismus und der Sympathie für politische Kräfte, die sagen, wo es lang geht, denen man sich einfach nur anzuschließen braucht.
Wilhelm Schmid, Philosoph mit Schwerpunkt Lebenskunst, schreitet den Begriff Heimat in seinem Buch weit aus. „Heimat ist überall, wo Beziehung“ ist – wohl wahr, ist also viel mehr als ein Ort. Die Liebe können jeden Ort zur Heimat machen? Aber mit der Liebe ist es manchmal eine schwierige Sache, wie der Autor weiß. Es sind wir selbst, die unsere Umwelt und die Dinge, die wir tun, mit Bedeutung aufladen. Wohnheimat, körperliche Heimat, seelische Heimat, geistige Heimat – „Heimat ist das, was nicht egal ist“, fasst Wilhelm Schmid zusammen. Also denkt er darüber nach, was alles einem wichtig sein kann und wie unterschiedlich das ist. Suchst du das ruhige Leben auf dem Land oder das vibrierende in der Stadt? Was kann dir ein Garten bieten? Was bedeutet dir die Ferne? Kann man auch in Bücherlandschaften zuhause sein? Na sicher doch, da bin ich ganz mit dem Autor einverstanden. Überhaupt die Kunst, was würde ich ohne sie tun? Natürlich kann auch die Phantasie eine Heimat sein. Muss es uns traurig machen, wenn die Sehnsucht über Grenzen weist? Wie geht es Menschen mit Demenz? Leben ohne Utopie? Kann es sein, dass Menschen religiös sind, auch wenn sie das nicht von sich glauben?
Wie Wilhelm Schmid die großen Fragen des Lebens auch ganz persönlich durchdenkt, zieht er Leserinnen und Leser ins Gespräch, die unweigerlich über sich und ihren Platz in der Welt nachdenken werden. Dass er dabei auch Rat und Halt geben kann, liegt daran, dass er das riesige Gebäude der Philosophie hinter sich hat. „Das Leben so zu gestalten, dass bei aller Erfahrung der Fremdheit und Befremdung Vertrautheit und Geborgenheit entstehen kann, ist ein Element der Lebenskunst. Und der Kunst des Liebens, die ihre eigenen Arten der Beheimatung kennt.“
Wilhelm Schmid: Heimat finden. Vom Leben in einer ungewissen Welt. Suhrkamp Verlag, 480 S., geb., 24 €.