Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Feindbild China

Der andere Weg

Was wir alles nicht über China wissen, erläutert Uwe Behrens aus eigener Erfahrung

Von Irmtraud Gutschke

Fast drei Jahrzehnte hat der Autor als promovierter Transportökonom dieses Buches in China gearbeitet, zuletzt als Berater eines in Hongkong ansässigen Unternehmens im Rahmen der Neuen Seidenstraße, die er „das größte Modernisierungsprojekt der Menschheitsgeschichte“ nennt. Da müssen ihm doch angesichts hiesiger Medienverlautbarungen über die Volksrepublik die Haare zu Berge stehen. „Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist“, so zitiert er Alfred Polgar, diesen von den Nazis vertriebenen jüdischen Feuilletonisten, zu Beginn seines Buches. Wie kann er mit der Wahrheit gegen die Lüge bestehen?

Indem er prononciert Zeugnis ablegt von dem, was er erlebt, durchdacht und erfahren hat, ist Lesern ist eine überaus interessante Lektüre versprochen. „Ich habe nicht Sinologie studiert, wohl aber das Leben in China.“ Da sehe ich dennoch Leute vor mir, die skeptisch die Stirn runzeln. Jene vermeintlich Besserwissenden wird er womöglich mit diesem Buch dennoch nicht erreichen, wohl aber jene, die neugierig sind.

Gelungener Titel: „Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen“. Warum dieses Feindbild in der Öffentlichkeit genährt wird? Weil dem Westen mit China „ein ernstzunehmender Konkurrent“ erwachsen ist. Der Autor schreibt über Chinas Erfolge bei der Armutsbekämpfung, erklärt die Effizienz der Wirtschaft, bei der es sich eben nicht um Staatskapitalismus handelt, aber auch nicht um die Art Sozialismus, wie sie 1989 scheiterte, und spricht von einer hohen Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. In den Kapiteln über den „zivilisatorischen Staat“ und die meritokratische Regierungsform kommt vieles zur Sprache, was uns in Mitteleuropa auf Grund unserer Traditionen fremd ist, was bei Lesen aber auch Sympathie weckt.

Zugleich aber wird im Buch nichts ausgelassen, was mit Vorurteilen und Abwehr behaftet ist: Korruption und Antikorruption, das Sozialpunktesystem, die „Great Firewall“ gegen US-amerikanische Anbieter im Internet, die Uiguren-Frage, Tibet, Hongkong. Uwe Behrens argumentieret unaufgeregt, überzeugt durch Fakten, die man kennen müsste, bevor man urteilt. China will definitiv kein Modell für die Welt sein, aber von der Idee, wie sich ökonomischer Fortschritt mit einer staatlichen Orientierung aufs Gemeinwohl verträgt, ließe sich wohl lernen.

Uwe Behrens: Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen. Edition Ost, 221 S., br., 15 €.

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