Was ein glückliches Leben wäre
James Suzman schrieb mit „Sie nannten es Arbeit“ eine „andere Geschichte der „Menschheit“
Von Irmtraud Gutschke
Als Sozialanthropolog hat er sich schon lange mit den Ju‘/Hoansi, den „Buschmännern“ der südafrikanischen Kalahari beschäftigt, die bis zur Jahrtausendwende noch als Jäger und Sammler lebten. Keineswegs, schreibt James Suzman, hätten sie ständig am Rand des Verhungerns gelebt, obwohl si selten mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiteten. Sie seien wohlgenährt, hattn eine höhere Lebenserwartung als die Ackerbau-Gesellschaften, verbrachten einen großen Teil ihrer Zeit dafür, „sich zu regenerieren und ihre Hobbys zu pflegen“. Das kam, weil sie „im Wesentlichen nur arbeiteten, um ihren kurzfristigen materiellen Bedarf zu decken und kaum Interesse am Erwerb von Vermögen“ hatten. „Wir haben guten Grund zu der Annahme, dass unsere Vorfahren während mindestens 95 Prozent der 300 000-jährigen Geschichte des Homo sapiens als Jäger und Sammler lebten, was die Vermutung nahelegt, dass unsere Annahmen über die Angst vor dem Mangel und unsere Einstellung zur Arbeit erst nach dem Übergang zum Ackerbau entstanden sind.“
Gemeinhin wird mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit der Beginn eines zivilisatorischen Fortschritts verortet, der bis in die Gegenwart als Erfolgsgeschichte forterzählt wird. James Suzman ist nicht der erste, der daran Zweifel hegt. In „Die Mühlen der Zivilisation. Eine Tiefengeschichten der frühen Staaten“ kam der US-Amerikaner James C. Scott 2017 zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie sein britischer Professoren-Kollege. Dabei denkt man schon an Friedrich Engels, der in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ den Begriff „Barbar“ trotzig im positiven Sinne verwendete, an Eichendorffs „Taugenichts“ wie überhaupt an die Romantiker, die der kapitalistischen Industrialisierung skeptisch gegenüberstanden. In einer Zeit, da die Anhäufung von Waren (und Waffen) immer stärker mit der Bereicherung einiger Weniger auf Kosten der Mehrheit einhergeht, für die Arbeit nur Knechtschaft bedeutet, fragt James Suzman zu Recht danach, was ein glückliches Leben wäre.
Aber können wir uns denn heute an den Steinzeit-Menschen ein Beispiel nehmen? So einfach macht es sich der Autor dieses mitreißend geschriebenen Buches natürlich nicht. Von seinen interessanten anthropologischen Forschungen ausgehend, kritisiert er zu Recht die Vorstellung einer humanen Entwicklung, die wie selbstverständlich von einem kapitalistischen Modell ausgeht. „Dass unsere Fixierung auf Wirtschaftswachstum uns zum Verhängnis werden könnte“, mit dieser Ansicht ist James Suzman keineswegs allein. Insofern steckt in seinem Buch eine gehörige Portion Kapitalismuskritik, geäußert freilich aus der Position einer akademischen Mittelklasse, die weitgehend frei über Arbeit und Freizeit entscheiden kann, während andere schon finanziell nicht in der Lage wären, ihre Lohnarbeit zeitlich zu begrenzen.
James Suzman: Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit. Aus dem Englischen von Karl Heinz Silber. C.H.Beck, 398 S., geb., 26,95 €.