Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Das Kräuterbuch

Ein Schatz von 1680

„Das Kräuterbuch“ des Johann Christoph Ende

Von Irmtraud Gutschke

Ein Ratgeber? Oder doch eher ein Kunstbuch seines besonderen Buchschmucks wegen? 215 weiße Scherenschnitte in- und ausländischer Bäume, Stauden, Kräuter zieren die Handschrift, die um 1680 entstand und in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrt wird. Daraus bekommt man mit diesem aufwändig gestalteten Insel-Band einen Auszug. Man bestaunt die Scherenschnitte, wie filigran und genau sie sind, und bleibt dann doch an den Texten hängen.

Vom Autor, Johann Christoph Ende, nimmt die Herausgeberin Renate Schipke an, dass er aus Liegnitz in Schlesien stammt und dass er auf jeden Fall ein studierter Mann gewesen ist. Ein Rechtsanwalt oder Notar vielleicht, der bei seinen Aufzeichnungen auch aus anderen Quellen schöpfte. Man kann ja davon ausgehen, dass Kräuter im 17. Jahrhundert bei der Heilung auch schwerer Erkrankungen eine viel größere Rolle spielten als heute. Selbst gegen die gefürchtete Pest musste damals manch Kräutlein gewachsen sein.

Von Aloe bis Zwiebel sind Pflanzen aufgeführt, die mehr oder weniger bekannt sein dürften. Die Alraune (Mandragora) zum Beispiel gibt es wirklich, doch ist dieses Nachtschattengewächs hochgiftig, und man staunt, wie unbefangen der Autor damit umgeht. Auch die Silberdistel sollte wegen ihre Giftgehalts nur in Fertigpräparaten oder homöopathisch potenziert angewendet werden. Und der Eisenhut erst: „das ärgste Gift“, schreibt Johann Christoph Ende, und sucht eher nach dem Gegengift. Es mussten noch einige Jahrzehnte vergehen, bis Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, Aconitum napellus als eine der wirkmächtigsten Arzneien bei Entzündungen und plötzlich auftretenden fieberhaften Erkrankungen beschrieb. Meine Großmutter hat meinen Vater durch „Aconit“ von einer Hirnhautentzündung geheilt.

Es macht Lust, im Buch zu blättern, zumal man hintergründig auch einiges über Lebensweise und Bedürfnisse  in der damaligen Zeit erfährt. Manche Pflanzen, wie das Galbankraut, mag man nicht kennen. Andere sind verbreitet, gebräuchlich. Man könnte etwas ausprobieren. Zum Beispiel dieses: „Wer ein schönes Angesicht haben wil der siede Liebstöckel-Kraut oder auch die Wurtzel in Waßer und wasche sich Täglich damit.“

So will ich das Buch doch unter die „Ratgeber“ einordnen.

Das Kräuterbuch. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Renate Schipke. Insel Verlag. 140 S., geb., 16 €.

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