Fühlst du das?
Ein Buch übers Kichern, Weinen, Wüten, Freuen
Von Irmtraud Gutschke
Ein Buch wie das von Katharina Grossmann-Hensel wäre zu meiner Kinderzeit niemandem in den Sinn gekommen. Wobei es in der DDR sehr schöne Kinderbücher gab, die neu aufgelegt im LeiV Verlag, bei Beltz und bei Eulenspiegel, zu „Longsellern“ wurden. Vom Angsthasen, dem neugierigen Entlein und unterschiedlichen Tieren war zu lesen, die Freunde wurden, aber das In-Sich-Hineinhorchen, um sich selbst zu erspüren, gehört zu einem Grad an Individualisierung, der zur angestrebten Gemeinschaftlichkeit nicht passte. Und von „bedürfnisorientierter Erziehung“ war damals auch nicht die Rede. Die Großmütter warnten noch, Kinder ja nicht zu „verwöhnen“. Die Mütter, berufstätig zumeist, wollten Kinder, die sich in ihren Alltag fügten.
Anerkennung jedweder Besonderheit und Emotionalität – das gehört zu unserer Zeit. Frei und unverbogen sollen Kinder aufwachsen. Darin drückt sich auch der Wunsch vieler Eltern aus, etwas besser zu machen als sie selbst es kannten.
Sowieso ist es ein Unterschied, was Kinder mit sich selbst erleben und was sie in Büchern wiederfinden. Kinderbücher werden von Erwachsenen geschrieben, verlegt und gekauft. Da ist Katharina Grossmann-Hensel, 1973 in Mühlheim an der Ruhr geboren und 2016 mit dem Weltillustrationspreis der Frankfurter Buchmesse ausgezeichnet, mit „Ich hab da so ein Gefühl“ ein Angebot für jedes Alter gelungen. „Ich horche in mich hinein. Manchmal höre ich was. Manchmal höre ich nix. Gefühle. Was ist das eigentlich und woher kommen die?“ Ein neuer Tag beginnt. Zufrieden? Oder noch müde? Oder beides gar? Ein Kind wirft sich auf den Boden, weil es nicht nach draußen will. „Na gut! Bleiben wir zu Hause!“ Irritiertes Gesicht: „Ich will aber nach draußen“, brüllt die Kleine da. Wie ist das zu verstehen? Dass es eben widersprüchlich in uns zugeht, auch wenn Erwachsene das besser kontrollieren können. Schön wäre es, wenn wir nur angenehme Gefühle hätten. „Gehört alles zusammen“, sagt die Mama im Buch. „Kann man nix machen.“
„Fröhlich? Aufgeregt? Ärgerlich? Wütend? Gelangweilt? Neugierig? Wie gut hat Grossmann-Hensel die verschiedenen Stimmungen ins Bild gebracht, wie klug schreibt sie über Traurigkeit und Wut. Wie viel Witz steckt in ihrem Bild, auf dem sich Erwachsene in einem Einkaufszentrum wie Kinder benehmen. Was tun, wenn man sich ausgeschlossen fühlt, wenn man Angst hat? Gibt es für jeden Streit eine Lösung? Manchmal will jemand einfach nur Ruhe. Wie erkennt man, was andere brauchen? Indem man sich erst einmal der eigenen Gefühle gewahr wird – in ihrer Besonderheit und Allgemeingültigkeit. „Alle fühlen etwas. Überall auf der Welt … Das verbindet uns. Fühlst du das?“
Katharina Grossmann-Hensel: Ich hab da so ein Gefühl. Ein Buch übers Kichern, Weinen, Wüten, Freuen. Annette Betz Verlag, 32 S., geb., 14,95 €.