Wie leben in dieser verrückten Welt?
Schwebend und scharfsinnig: Die Leipzigerin Angela Krauß ist auch als Prosaautorin eine Dichterin
Irmtraud Gutschke
Tanz der Sprache – immer schon hat Angela Krauß dieses Schweben beim Schreiben beherrscht. Wenn es da Anstrengung gab um der möglichst genauen Formulierung willen, war es ihr wohl auch Genuss. Prosa einer Dichterin, die sich aufs einfache Benennen nicht herunterbrechen lässt, sondern immer ein Weltgefühl meint, dem auf den Grund zu gehen ist.
„Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen.“ Trotzig in der alten Rechtschreibung, drückt sich im Titel schon eine Entschlossenheit aus, die Welt und zugleich das Ich betreffend. Wobei das Hier und Jetzt gleichsam zum Sprungbrett wird ins Universum, ja wohl sogar in ein Jenseits von Raum und Zeit.
Der Ausgangspunkt wäre – wie in ihren früheren Büchern von Angela Krauß – ihre Leipziger Wohnung, wo der Güterbahnhof in Hörweite ist und man beim Blick auf den Nachthimmel das Blinken der Postflugzeuge sehen kann. Dort hatte sie in der Nacht einen beunruhigenden Traum. Eine Fee (oder was es auch immer sei) hat sie auf ihr Lebensende verwiesen. Zunächst. Am Ende meldet sie sich mit einer ganz anderen Botschaft. Morgens aber kam die Postbotin, ein „blonder Engel“, und später erschien als kraftvolle Gestalt „die Tänzerin“.
Vergeblich das Unterfangen, diese lyrische Prosa irgendwie nacherzählen zu wollen. Wie leben in dieser verrückten Welt? Wie umgehen mit der Endlichkeit des Lebens, der doch alles in einem widerspricht? Ein vages Gefühl des Bedrohtseins ist der Dreh- und Angelpunkt des Textes. „Das Ganze wird unaufhaltsam größer, rätselhafter. Manchmal dringt daraufhin ein Staunen bis in die gesprochenen Nachrichten vor. Der Mensch merkt auf. Er spürt, es bleibt etwas ungesagt: Wir leben im Ungewissen.“ Ein Gefühl, das viele kennen. „Angst und Argwohn verdünnten die Luft zum Atmen.“ Die Corona-Zeit als Vorstufe des Heutigen: „Die große Daseinsverwandlung, sie hatte sich angekündigt in einem weltweiten Innehalten.“
Wie pointiert da Zeitdiagnosen aufblitzen im lyrischen Wortgewebe, ist wie gesagt nur ein Sprungbrett für die Dichterin. Ein Genuss ist es beim Lesen, wie Reales immer wieder symbolischen Hintersinn bekommt und mehrdeutig wird. So wie die „Tapetentür“, hinter der sich eine verstörende „Welt im Hintergrund“ erahnen lässt und ebenso etwas Tröstliches. An das Altern und Sterben der Mutter muss Angela Krauß denken – unvergessliche Szenen gelingen ihr da.
An sich Alltägliches wird sinnhaft bedeutsam und manchmal gar philosophisch aufgeladen. Was soll ich tun? Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Unwillkürlich musste ich an Immanuel Kants große Fragen denken.
Doch halte man die Lektüre nicht für schwierig. Vielmehr ist es eine große Freude, sich von den Sprachwellen der Autorin tragen zu lassen. Geistige Bewegung – nur so lässt sich schreckhafte Erstarrung überwinden. Ansteckende Courage. Schweben und Scharfsinn – die Lektüre gibt einem Flügel, damit man die Welt und sich selbst von oben betrachten kann.
Zu diesem Zweck, meint die Dichterin, wurden Wohnhäuser ja früher gern von Türmchen gekrönt, „kleinen verspielten Sternwarten“. Und da verabschiedet sie sich von uns um Mitternacht. „Ich sehe aus großer Höhe ein funkelndes Areal. Die Postflugflotte ist erwacht wie eine exotisch schillernde, nachtaktive Vogelart und quert in kurzem Takt den Himmel über meinem Horizont.“
Angela Krauß: Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen. Suhrkamp, 11 S., geb., 20 €.