Innehalten, staunen
Aquarelle von Hans-Jürgen Gaudeck und Gedichte von Heine bis Hölderlin
Irmtraud Gutschke
Fast täglich sei er durch den Wald gewandert, schreibt Hans-Jürgen Gaudeck. Dabei habe er Stimmungen aufgenommen, die sich auch auf seine Malerei auswirkten. „Allein der Anblick des luftigen Grüns, das Geräusch des Windes, die federleichten Bewegungen in den Baumkronen, die vielfältigen Schattierungen auf den Baumstämmen und das Spiel des Lichts nahmen mich mit auf Reisen durch die Tiefe des Waldes.“
Die Waldluft atmen, innehalten, ganz ruhig werden und die Sinne schärfen. Staunen, sich eins fühlen mit der Schöpfung: „Waldbaden“ gilt ja inzwischen als Heilmethode. „Als wäre aus der lauten Welt /aller Friede hergezogen/ und flösse sacht durch dieses Tal/ in weichen, sanften Wogen,/ und flösse sacht und sonder Schall/ durch ruhelose Herzen,/ so hehl, so sanft, so feierlich,/ fortspülend alle Schmerzen.“ So schrieb die österreichische Schriftstellerin Ada Christen (1839-1901), die heute vielen kaum mehr bekannt sein dürfte. Die „Gedichte von Heine bis Hölderlin“, die Hans-Jürgen Gaudeck für diesen Band zusammenstellte, kommen nämlich nicht nur von immer noch Berühmten wie Goethe und Schiller, Tieck und Eichendorff, Keller und Fontane, Morgenstern und Rilke, sondern auch von Leuten, die einst sehr populär waren, heute aber von vielen fast vergessen sind.
Ein Kunststück war es allein schon, all diese Texte aufzuspüren und sie so zu ordnen, dass sie uns den Wald aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zeigen: Im Frühling (Eduard Mörike), im Sommer ((Max Dauthendey), im Herbst (Ferdinand von Saar), im Winter (Hans Leifhelm), im „Flüstern, Rauschen, Klingen“ (Friedrich de la Motte Fouqué) und im „Weinen“ (Emmy Hennings) …
Als besonderen Leckerbissen hat Hans-Jürgen Gaudeck dem Buch auch einige japanische Haikus hinzugefügt. Es beeindruckte ihn, wie sie mit ihren drei Zeilen einen „flüchtigen Moment“ festhalten in „minimalster Form. Sie bilden in ihrem Inhalt einen Ausschnitt auf die sichtbare Realität und öffnen durch ihren Formenklang weitere Welten.“ Da sieht er eine Parallele zum Aquarell, das „mit seiner farblichen Durchsichtigkeit“ eine ähnlich Ausstrahlung gewinnen kann.
Hans-Jürgen Gaudeck ist ja ein Meister des Aquarells. Und hier kann man sehen, wie diese Technik sich ganz besonders dafür eignet, Wälder in ihren verschiedenen Stimmungen zu erfassen. Etwas Fließendes ist in diesem Spiel mit Wasser und Farbe. Eine innere Bewegung, wie man sie tatsächlich erspüren kann, wenn man den Wald in sich aufnimmt. Ein lebendiger Organismus im Wechsel der Jahreszeiten, im Wolkenspiel und im Flirren des Lichts. Welches Bild ist wohl das schönste? Alle gehen sie mir nahe, so verschieden sie auch sind: Bäume im Frühlingserblühen, in der Sommerhitze, im Nebel, im Sturm, im Schnee. Was für eine Palette an Farbschattierungen! Man sieht, was der Maler sah, und erahnt dahinter noch ein Geheimnis.
Hans-Jürgen Gaudeck: Der Wald, der Wald. Aquarelle zu Gedichten von Heine bis Hölderlin. Klaus Becker Verlag Potsdam, 100 S., geb., 24 €.