Manierismus in der DDR?
Irmtraud Gutschke
Er schien über eine Maltechnik zu verfügen wie die Maler der Renaissance, eine verlorene Meisterschaft in der Gegenwartskunst. Zumal in der DDR. Bewundert wurde das Werk von Werner Tübke (1929-2004), weil in seinem Stil etwas Subversives war. Ein Echo der Vergangenheit, einem platt-forschen Zeitgeist entgegengesetzt. Tradition, während der sozialistische Realismus doch eine neue Kunst begründen wollte. Wobei er sich ebenso dem Abstrakten widersetzte, welches im Westen modern war. Ich liebte Werner Tübkes Werk wegen dieses Eigensinns.
Er war natürlich ein Privilegierter. Schon seit den 1970er Jahren konnte er mehrmals nach Italien reisen, was DDR-Bürgern sonst nicht vergönnt war. Doch die politisch Mächtigen verstanden wohl, wie wichtig es für den Maler war, die Werke Michelangelos, Raffaels, Tintorettos im Original zu sehen, ihre Kompositionsprinzipien, ihre Farbgebung, ihre Liebe zum Detail. Schon im Gemälde „Am Strand von Roma Ostia“ (1974) habe sich Tübkes Vorliebe für den Manierismus gezeigt – in den langen Gliedmaßen der Figuren, der nervösen Struktur der Muskulatur, den exzentrischen Posen und dem exotischen Kolorit, schreibt Frank Zöllner im Katalog zur Ausstellung „Tübke und Italien“, die noch bis 16. Juni im Museum der bildenden Künste Leipzig zu sehen ist. Ein Heimspiel sozusagen, gilt doch Tübke als eine der Schlüsselfiguren der „Leipziger Schule“. Frank Zöllner hat die Schau zusammen mit Stefan Weppelmann kuratiert.
Ohne Zweifel, ohne den direkten italienischen Einfluss wäre Tübke nicht zu dem geworden, der er war. Wenn auch zu Recht seine Sensibilität hervorgehoben werden muss, was Klassengegensätze damals wie heute betraf, wenn seine Werken diesbezüglich für Deutungen offen waren – in der DDR hatte Kunst ja politisch, kämpferisch, realistisch zu sein -, gab ihnen sein Stil doch etwas Überzeitliches. Doppelbödig waren sie, forderten die Betrachtenden zu widersprüchlichen Gefühlen heraus. Und es steckte in ihnen ein künstlerisches Selbstbewusstsein, das für mich etwas faszinierend Arrogantes hatte.
Der Katalog wird bleiben, auch wenn die Ausstellung schon geschlossen hat. Ein Werk von Experten, die einem Tübkes Werk ebenso lebendig machen wie die historischen und zeitgenössischen Bezüge, die es tragen oder im Kontrast dazu stehen. Natürlich hat Tübke sein Italien nicht idealisiert und doch spürt man in seinen Gemälden noch einen Widerhall jenes idealen Italienbildes, von dem so viele Künstler der Vergangenheit lebten. Es fasziniert der Zauber des Details, das Überraschende, Kuriose, Morbide. Sage mir doch keiner, dass Tübke nicht auch etwas Morbides in der Gegenwart erspürte.
Stefan Weppelmann und Frank Zöllner (Hg.): Tübke und Italien. E.A. Seemann Verlag, 144 S., br., 25 €.