Wider die weltweite Ungerechtigkeit
Irmtraud Gutschke
Für Kinder müsse man so schreiben wie für Erwachsene – nur besser. Das Zitat wird Maxim Gorki zugeschrieben und ist durchaus strittig, weil Kinderliteratur doch etwas Spezifisches hat. Auf Sachbücher wie dieses trifft es allerdings zu. David J. Smith (Text) und Shelagh Armstrong haben es 2002 erstmals in Kanada veröffentlicht. Die deutschsprachige Ausgabe im gleichen Jahr au dem Jungbrunnen Verlag Wien ist jetzt schon in 9. Auflage erschienen – aktualisiert, weil die Welt ja in Bewegung ist.
Tatsächlich geht es hier um die ganze Welt. Die Völker der Erde werden in ihrer Gesamtheit wie in ihrer Unterschiedlichkeit in den Blick genommen. Auf eine konkrete, leicht fassliche Weise. Die Idee von David J. Smith ist grandios: „Wenn die Welt ein Dorf wäre“ – sagen wir mit 100 Bewohnern, und hinter jeder Person würden 80 Millionen stehen – wie wären ihre Relationen? 75 würden aus Asien und Afrika kommen, zehn aus Europa und nur fünf aus Kanada und den USA. 15 würden einen chinesischen Dialekt sprechen, sechs Spanisch, fünf Englisch. Aus unserer Sicht, hätten wir das gedacht?
Dass 44 Menschen im Dorf nicht sicher sein können, genug zu essen zu bekommen, sollte uns 56, die sich ausreichend ernähren können, durchaus alarmieren. Denn im Dorf herrscht kein Mangel an Nahrungsmitteln. Sie werden nur nicht gleichmäßig verteilt. 12 haben keinen Zugang zu sauberem Wasser und 31 keinerlei Sanitäreinrichtungen, nicht einmal Senkgruben. Entsprechend unterschiedlich steht es auch im die Gesundheit? 41 Menschen von hundert leben in Gebieten mit Malaria.
Die reichsten 10 Personen besitzen fast 85 Prozent des weltweiten Vermögens. Jeder hat mehr als 253.600 Euro pro Jahr. Die ärmsten 10 Personen haben weniger als 1,99 Euro pro Tag. Aber immerhin gibt es ziemlich viele Radios, Fernseher, Telefone. Und wo kommt die Energie her? Zu 80 Prozent aus fossilen Brennstoffen und nur zu neun aus Wind oder Wasser. Dazwischen liegen elf Prozent Atomenergie.
Die Bevölkerung wächst. 2100 wird das „Dorf“ 2500 Bewohner haben. „Experten meinen, dass dies die höchste Anzahl an Menschen ist, die das Dorf gerade noch ertragen kann. Und schon dann wäre es ein überfüllter Ort mit Nahrungsmittelknappheit, Wohnungsnot und Rohstoffmangel.“ Wie mit der Prognose der Überbevölkerung umzugehen ist, wird nicht erklärt. Andererseits könnte sich das auch ändern, denn in vielen Industrieländern geht die Geburtenrate ja auch stark zurück.
Was schon für Sieben- bis Neunjährige eingängig wird, ist die weltweite Ungerechtigkeit. Dass „jeder Mensch ein Recht auf Nahrung, Wohnung und andere Grundbedürfnisse des täglichen Lebens hat“, ist für Kinder womöglich sogar deutlicher eine Selbstverständlichkeit als für Erwachsene gerade in westlichen Ländern. Denen wird ja immer wieder gesagt, dass sie auf Kosten armer Länder leben. Viele haben da ein schlechtes Gewissen, wenn ihnen gleichzeitig eben nicht bewusst ist – ich muss es noch einmal wiederholen – dass 85 Prozent des weltweiten Vermögens den reichsten 10 Prozent gehört. Der Kampf um Gerechtigkeit fängt vor der eigenen Haustür an.
David J. Smith, Shelagh Armstrong: Wenn die Welt ein Dorf wäre … Ein Buch über die Völker der Erde. Aus dem Englischen von Hildegard Gärtner. Verlag Jungbrunnen, 32 S., geb., 18 €.