„Oleg ist in der Welt, in der ich lebe“
Irmtraud Gutschke
Vier Jahre lang hat Olga Martynowa an diesem Buch gearbeitet. Nur durch Schreiben konnte sie versuchen, zu sich selbst zu kommen, nachdem ihr Mann, der Schriftsteller Oleg Jurjew, am 5. Juli 2018 überraschend an seiner langjährigen Krankheit gestorben war. Er war erst 58, und sie wusste nicht, wie sie weiterleben sollte. 37 Jahre gemeinsamen Lebens und Arbeitens – die Trauer ist unerträglich und erscheint ihr dennoch irgendwie kostbar. Eine Linderung des Schmerzes, so sie überhaupt möglich wäre, lehnt sie ab. Denn im Schmerz kann sie Oleg bei sich behalten.
„Bis der Trost eintritt, schimmert noch Hoffnung.“ – Ein rätselhafter Satz schon auf der ersten Seite. Denn Trost würde das Leben wieder normal werden lassen, was sie nicht will. „Die am meisten unerwiderte Liebe ist die Liebe zu einem Gestorbenen. Sie schreibt Tagebuch: „Jetzt würden wir Kaffee trinken …. nach em Regen: …. Wir würden in die Weinberge gehen (wir wären gegangen …) Lesend überträgt man ihren Schmerz auf ein eigenes Was-Wäre-Wenn und wendet sich erschrocken ab, um dann wieder in diesen fulminanten Text hineingezogen werden.
Nähe und Abstand: Wie die Autorin die Last der Trauer tapfer annimmt, fast daran zerbricht und dann wieder über sich hinauswächst, indem sie die Weltliteratur durchforstet, Verbindung sucht zu anderen Autorinnen und Autoren, die irgendwie mit dem Tod zurechtzukommen suchten. Aber das lenkt sie nicht ab: „Was mich von meiner Trauer ablenkt, ist störend.“
Erinnerungen, so viele, und Phantasien: „Ich versuche mir vorzustellen, was Oleg jetzt machen würde, wäre ich gestorben …“ Was, wenn er sie beobachten, hören könnte? „Ich kann mit der verbreiteten Meinung nichts anfangen, die Toten würden sich wünschen, dass wir uns von unserer Trauer befreien. Würden wir uns über die Botschaft freuen, dass unsere Toten keine Sehnsucht nach uns haben? Eben.“
Also muss sie selbst so lange wie möglich am Leben bleiben. Und schreiben, um nicht loszulassen, sondern festzuhalten. „Oleg ist in der Welt, in der ich lebe.“
Olga Martynova: Gespräch über die Trauer. S. Fischer Verlag, 303 S., geb., 25 €.