„Das Leben ist so leicht hier“
Monika Maron: „Das Haus“ zwischen Sehnsuchtsbild und Ironie
Irmtraud Gutschke
Unwirklich? Warum sollten sich einsame Leute nicht zusammentun, um einander zu stützen beim Älterwerden? Dass eine von ihnen, die Tierärztin Katharina, von ihrem Vater ein renoviertes Gutshaus mit Park, Teich und Kapelle geerbt hat, dürfte ein seltener Glücksfall sein. Und dass sie ein paar Freunde und Bekannte bei sich mietfrei wohnen lässt (nur Selbstkosten sind zu entrichten), ist eine Großzügigkeit, die man selten findet. Ein solches Wohlfühlambiente stellt Monika Maron vor uns hin, dass ihre Bemerkung nicht nebensächlich ist, zwei polnische Putzfrauen seien für das Gebäude engagiert. Sie kann ja auch wunderbar ironisch sein. Ihre Erzählung „Herr Aurich“, jüngst wieder bei Hoffmann und Campe erschienen, ist dafür ein Beispiel. Im neuen Roman schaut man hingegen wie auf eine schillernd bewegte Wasserfläche – staunend, sehnend und dann wieder zweifelnd, Dunkles spürend ob der Abgehobenheit, die hier zelebriert wird.
Wohltuende Spaziergänge in der Natur, gemeinsames Speisen, bedachtsames Miteinander-Reden: Wie die Geschichte dahinplätschert in der ruhigen Abfolge der Tage, erwartet man geradezu eine Zuspitzung. Könnte der Besuch eines Kriminalautors Unerwartetes in Bewegung bringen? Bahnt sich irgendwo eine späte Verliebtheit an? Wie Monika Maron jedes Klischee meidet, ist selbst schon eine literarische Aussage. Immer schon als scharfe Beobachterin gerühmt, zieht sie uns an ihre Seite, zumal man die Ich-Erzählerin Eva weitgehend als ihr Alter Ego empfindet.
Es dürfte der inzwischen 82-Jährigen noch in den Knochen stecken, wie der S. Fischer Verlag vor drei Jahren die vierzigjährige Zusammenarbeit aufkündigte, weil ihre Meinung zum „eingeschränkten Diskurs“ in Deutschland und ihre Kritik am Islam missfielen. Wieviel Dissonanz eine demokratische Gesellschaft aushalten müsste, die Frage stellte sich ihr hautnah. „Ein sanfter Regen tröstet mich“, heißt es nun. Die unterschiedlichen Charaktere in dieser „Alters-WG“ – von der Buchhändlerin bis zum Altphilologen – sind als gebildete Leute aus der Mittelschicht auf einer Wellenlänge. Fünf Frauen, drei Männer, verbunden durch persönliche Verluste – und durch Gedanken an die Frist, die ihnen bleibt. Um Gott und die Welt geht es, um Liebe, Ehe, Tod, aber auch um steigende Mietkosten, den Buchmarkt, künstliche Intelligenz, die Zukunft Europas, die Sorge, wenn die Natur „zurückschlägt“ …
Man offenbart sich einander und wahrt doch feine Distanz, um die Harmonie zu wahren. Die spektakulären Fernsehbilder vom Brand der Kathedrale Notre Dame 2019 führen alle im Erschrecken zusammen. Die Nachricht von einem Waldbrand auf einem einstigen Truppenübungsplatz, unweit von ihrem Haus, hätte sie entzweien können. Müsste man nicht mehr tun, als Geld zu spenden? Bedürftigen bedingungslos helfen, sie bei sich aufnehmen? Und wenn die bleiben würden? Mit der Gemütlichkeit wäre es vorbei.
„Am meisten fürchtet man doch immer das eigene Unglück“, konstatiert die Ich-Erzählerin. Wie Eva in ihrer Nüchternheit, ihrer Nachdenklichkeit in sich hineinhört, gibt dem Text einen berückend aufrichtigen Erzählton. „Na ja“, sagt sie gern, wenn andere mit ihren Meinungen auftrumpfen. Im Alter wird man nun mal gelassener, auf das Bewahren orientiert.
Als einen „Gesellschaftsroman, in dem Monika Maron universelle Themen des Lebens, der Liebe und des Alters neu verhandelt“, lobt der Verlag das Buch. Wobei einem auch auffallen soll, was nicht verhandelt wird, welche möglichen Streitpunkte umgangen werden. Am 1. Januar 2020 endet der Roman. Was in der Zwischenzeit geschah, welche Spaltungen sich in unserem Lande aufgetan haben, ist von der Autorin mitgedacht. Vielleicht steckt in dem Refugium 100 Kilometer nördlich von Berlin ja ein Sehnsuchtsbild von Geborgenheit in einer Gemeinschaft, die Freiheit ebenso erlaubt wie Eigensinn. Aber die Ecken und Kanten dieser Vision sind Monika Maron ebenso bewusst wie uns, die wir ihr Buch lesen. „Das Leben ist so leicht hier“, heißt es auf Seite 173. Wir wissen, dass es für andere anderswo überhaupt nicht so ist und werden schließlich bestätigt in unserer Ahnung, wie fragil die Idylle ist und überhaupt das Leben. Ein Zufall kann alles verändern.
Ein leises Buch. Man staunt, wie stark es in einem nachhallt.
Monika Maron: Das Haus. Roman. Hoffmann und Campe, 240 S., geb., 25 €.