Wie nun weiterleben?
Irmtraud Gutschke
Eine moderne Version der Romeo-und-Julia-Geschichte: Lu Bonauer, 1973 in Basel geboren, stellt seiner Novelle ja auch ein Zitat aus dem Shakespeare Drama voran. „Willst du schon gehen? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche …“ Wer kennt es nicht. Aber ungewöhnlich ist es schon, dass zwei Liebende von heute sich so in diese große Liebesgeschichte vertiefen, dass sie sie selber leben wollen. Aber wenn davon erzählt wird, haben diese beiden das Leben auch nicht mehr vor sich, genauer gesagt, für sie ist es vorbei. Er muss sehen, wie er zurecht kommt mit dem Schrecken, mit der Trauer.
Irgendwann hatten sie sich gedacht, dass sie am liebsten gemeinsam aus dieser Welt gehen würden. Und sie hatten es einander tatsächlich versprochen, als sie, Romy, für sich keine Zukunft mehr sah. Alzheimer: Dass er sie begleiten würde, meinte Silas. Sie widersprach. Doch eines Tages war es beschlossen. „Spaziergang. Hof. Hund.“ Noch einmal blickten sie aufs Meer, schauten sich alte Fotos an. Er saß auf der Veranda, während sie in der Küche das „Sterberli“ anrührte. „Im Spätnachmittagslicht setzten sie sich auf die zwei bereitgestellten Schaukelstühle.“ das Tablett mit den zwei Gläsern stand zwischen ihnen. „Ich bin froh, sagte Romy, dass du bei mir bist.“ Und er strich ihr noch einmal über die Wange. Sie schlossen die Augen …
Der Klappentext hat es schon verraten: Wenige Stunden später erwacht Silas, aber Romy neben ihm ist tot. Schock, Schuldgefühl, Grübeln: „Weshalb hat dieses verfickte Barbiturat nicht gewirkt?“ Auf dem Buchumschlag hätte man die Antwort erkennen können, aber hier soll sie nicht verraten sein. Wie Lu Bonauer den Mann nun durch seine Erinnerungen irren lässt, um die Geliebte in Gedanken wiederzubeleben, ist großartig. Eine wunderbare romantische Liebesgeschichte ist entstanden. Harmonischer Zweisamkeit werden wir teilhaftig, aber immer bleibt noch die Frage im Hintergrund.
Romy wollte nicht in einen Zustand geraten, in dem sie ihn nicht mehr erkennt. Manche denken so. Er hat ihr die Entscheidung nicht ausreden können, und sie hat es bezüglich der seinen ebenfalls vergeblich versucht. Und nun: „Romys kalte Haut erschreckte Silas, obschon er als Arzt genau wusste, wann und wie sich ein toter Körper veränderte. Was wird morgen sein?“ Man stelle sich vor, allein mit einem lieben Menschen zu sein, der plötzlich gestorben ist. Man würde einen Arzt rufen. Doch Silas kann doch unmöglich bekennen, wie es zu diesem Tod gekommen ist. Das Natrium-Pentobarbital-Pulver hatte er aus der Klinik besorgt. „Silas erinnere dich genau! Hatte er nicht darauf bestanden, beide Fläschchen mit ihren Anfangsbuchstaben zu markieren … Wohin trieb er mit seinen Gedanken?“
Ein Buch der Erinnerung. Ein Buch über die Trauer. Meinen könnte man fast, der Autor habe ebenfalls einen geliebten Menschen verloren. So genau beschreibt er die Irritation, das Aufbäumen von Schrecken, die Versuche von Geisterbeschwörung. „Romy, rief er in Gedanken. Er glaubte, sie stehe in der Küche…“ Tatsächlich spricht sie in Gedanken zu ihm.
Lu Bonauer: Die Liebenden bei den Dünen. Novelle. Kommode Verlag, 120 S., geb., 15 €.