Romanesco, Radieschen, Rosenkohl
Irmtraud Gutschke
Was für eine Pracht ist dieser Kalender! Dass die Fotografien der US-Amerikanerin Lynn Marlin auch von Kunstgalerien gefragt sind und zu Gemälden vergrößert, in Museen hängen, verwundert nicht. Wer sich ihren Kalender „Food Stills“ zulegt, bekommt zwölf farbenprächtige Stillleben in die Wohnung, jedes so schön, wie ein altes Gemälde. Und doch atmen die Bilder, so traditionell dekorativ sie arrangiert sind, heutiges Weltgefühl. Denn hier fehlen die toten Fasanen, Hummer oder Fische, was hier an Köstlichkeiten lockt, ist vegetarisch. Romanesco, Mangold, Rosenkohl und trotziger Stangenspargel – auf jedes Bild muss etwas Grünes. Dazu das Rot von Radieschen oder Tomaten, der orangene Kürbis, die gelben Zitronen. Alles leuchtet, alles ist frisch. Nichts ruft uns im Welken eine „Memento mori“ entgegen. Junges Gemüse, garniert mit Blumen, lockt zum Genuss.
Wie gesagt, als Gemälde würden die Fotos den Alten Meistern Ehre machen. Und ihre Wirkung kommt auch daher, dass sie uns an Alte Meister denken lassen. Wobei die Künstlerin wohl durchaus alle Feinheiten der digitalen Bildbearbeitung beherrscht. Dass ihre Kunst vom Leben auf einer Farm in Maine inspiriert ist, will man ihr gerne glauben, aber damit spricht sie die Sehnsüchte von Stadtmenschen an, im Einklang mit der Natur zu leben.
Lynn Karlin: Food Stills. Kalender, 48 x 46 cm, Weingarten im Athesia Kalenderverlag, 14 S., Spiralbindung, 28 €.