Perfekt nach englischem Muster
„Wenn Worte töten“ von Anthony Horowitz ist erfreulicherweise wohl nicht der letzte Hawthorne-Krimi
Irmtraud Gutschke
Die britische Kanalinsel Alderney gibt es wirklich, doch damit uns der Schauplatz näher rückt, sehen wir im Buch schon mal eine Karte, damit wir uns während der Krimihandlung orientieren können. Was wir eigentlich nicht müssten, weil der Autor das Talent zu anschaulichem Erzählen hat. Mord an einem abgeschiedenen Ort, eine überschaubare Zahl von Tatverdächtigen, die fast alle ein Motiv haben, und ein privater Detektiv, um der Polizei Konkurrenz zu machen –, das war schon das Erfolgsrezept von Agatha Christies Krimis um Miss Marple und Hercule Poirot. Anthony Horowitz als erklärter Fan von Arthur Conan Doyles Sherlock-Holmes-Romanen – er hat selber sogar drei Adaptionen verfasst – präsentiert uns nach bewährten Muster ein Ermittler-Duo und bringt sich in der Figur „Anthony Horowitz“ sogar selber ins Spiel. Mit dem einstigen Polizisten Daniel Hawthorne ist er Teil der Handlung – als Schreibender, der wie Watson Sherlock Holmes begleitet, beobachtet und sozusagen die Verbindung zum Leser herstellt. Denn der Ex-Polizist und Privatdetektiv Daniel Hawthorne muss den Genialen, Undurchschaubaren geben, von dem wir indes sicher sein dürfen, dass er auch den verzwicktesten Fall löst. Ganz zuletzt natürlich und höchst überraschend, während wir vorher schon ins Zweifeln geraten sind.
Das Buch beginnt damit, dass mit Horowitz auch Hawthorne zuerst in den Penguin-Verlag (wo diese Romane tatsächlich erschienen sind) und dann zu einem Literaturfestival auf Alderney eingeladen wird. In einer Gruppe mit fünf weiteren Autorinnen und Autoren, die absolut ins Klischee dessen passen, was heute zum Bestseller wird. Und weil Horowitz mit seinen über 35 Erfolgsromanen selbst in der Bestsellerliga spielt, kann er die Klischees, nicht böse verhöhnen. Im Gegenteil beobachtet er selbstironisch-liebevoll, wie sie uns allenthalben umgeben.
Was da in der Unterhaltungsindustrie vor sich geht, spiegelt sich ja in alltäglichen Wahrnehmungsweisen und könnte nicht so erfolgreich angewandt werden, wenn nicht reale Bedürfnisse zugrunde lägen. Diese Mechanismen zu erkennen, ist bei aufmerksamem Lesen ein zusätzliches Vergnügen. Anthony Horowitz weiß, wie man es macht, damit ein perfekter Krimi gelingt. Nach klassisch englischem Muster geht es nicht so sehr um Action, sondern ums Mitraten. An der Seite der beiden Detektive, von denen einer mehr weiß als der andere, bekommen wir fast alles, was wir an Informationen brauchen, und dürfen unsere Mutmaßungen anstellen. Dass der Mäzen des Festivals umgebracht wird und bald darauf ein zweiter Mord geschieht, wissen wir aus dem Klappentext. Dass Charles Le Mesurier das Projekt einer Hochspannungsleitung vorantreibt, die zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich über Alderney geführt werden soll, erfahren wir auf Seite 47. Selbstredend wird er daran verdienen, während die Insel verschandelt wird. So hat er sich viele Feinde gemacht. Aber wozu hätte der Autor ein Literaturfestival gebraucht, wenn der Mörder unter den Einheimischen ist?
In dieser Art Krimis stellen sich die Hauptverdächtigen meist als unschuldig heraus. Aber wollen wir denn unser Lesevergnügen schmälern, indem wir von Anfang an durchschauen, was der Autor mit uns vorhat? Ich fand es amüsant, wie geschickt er Verdachtsmomente ausspielt und wie er auch Hilfestellung gibt, damit wir uns nicht verirren. „Horowitz“, der ja mit „Hawthorne“ umso mehr konkurriert, weil der ihm die Show gestohlen hat, nimmt uns an der Hand, indem er die Motive der einzelnen Personen in der Mitte mal zusammenfasst. „Irgendetwas hatte ich übersehen … “ Und dann kommt doch alles anders …
Witzig finde ich, wie geschickt der Autor in diesem Buch Marketing für seine früheren betreibt. Das geht ja ganz einfach, weil „Horowitz“ sich an bisherige Fälle erinnert. Und als er am Schloss, nachdem alles geklärt ist, noch eine Postkarte mit einem rätselhaften Hinweis bekommt, ahnen wir schon, dass es mit der Hawthorne-Serie weitergeht. Und wirklich harrt bereits ein neuer Hawthorne-Krimi der hervorragenden Übersetzung von Lutz-W. Wolff.
Anthony Horowitz: Wenn Worte töten. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff. Insel Verlag, 330 S., geb., 24 €.