Der leuchtende Augenblick
Irmtraud Gutschke
Wie unter einer leuchtenden Kuppel kannst du sein mit einem Buch. Auf eine unangreifbare Art der Umwelt entzogen. Lesen bildet, in vielerlei Hinsicht. Man kann die Welt mit den Augen anderer Menschen sehen, lernt sich in Fremdes einzufühlen, aber dazu muss man sich für Momente auch vereinzeln. „Tage des Lesens“, die in diesem Buch in vielerlei Geschichten beschrieben werden, sind eigentlich glückliche Tage. An diesem Glück lässt uns Gesine Dammel nun teilhaben. Geschichten von 28 Autorinnen und Autoren hat sie herausgesucht – von berühmten wie auch von weniger bekannten.
Natürlich, in solch einem Lesebuch kann es nicht anders sein, die Texte sind einem größeren dem Zusammenhang entnommen, was für die Herausgeberin wohl eine Herausforderung war. Aber niemand hindert uns ja daran, sich das ganze Bändchen „Tage des Lesens“ von Marcel Proust zu besorgen, das ebenfalls bei Insel erschienen ist. Oder die Sammlung „Alles kein Zufall“ von Elke Heidenreich. Es sind auch Erstdrucke dabei. Wobei auffällig viele Texte Erinnerungen sind , weil die ersten Begegnungen mit Büchern prägend waren.
„Das Land des Lesens ist ein geheimnisvoller, unendlicher Erdteil“, schreibt Erich Kästner. „Aus Druckerschwärze entstehen Dinge, Menschen, Geister und Götter, die man sonst nicht sehen könnte.“ Er wusste damals nicht, wie viele andere Möglichkeiten es dafür später geben würde. Besonders Videoclips und Filmserien im Fernsehen machen dem Lesen heute bei Kindern Konkurrenz. Vorgeführt werden fremde Welten noch und noch. Fertignahrung fürs Gehirn, ohne Mühe zu konsumieren. Beim Lesen aber erschaffst du die Bilder selber und wirst einem Reichtum der Sprache teilhaftig, der dir zu differenziertem Denken verhilft. Du vertiefst dich und wirst diesen Zustand von der verbreiteten Oberflächlichkeit unterscheiden können.
Tage des Lesens. Die schönsten Geschichten über Menschen und Bücher. Ausgewählt von Gesine Damel. Insel Verlag, 174 S., br., 10 €.