Was das Leben spannend macht
Tatjana Kutschewskaja erzählt aus ihren Erinnerungen
Irmtraud Gutschke
„Es gibt zweierlei Russland. Das eine sehen die Deutschen auf dem Bildschirm oder in Büchern deutscher Fernsehjournalisten. Das andere Russland erzählt selbst von sich.“ Das Buch „Mein geheimes Russland“ von Tatjana Kuschtewskaja ist eine Montage von Fotodokumenten und dokumentarischen Erzählungen aus der Feder einer entdeckungsfreudigen und lebensweisen Frau. Geboren in der Wüstenoase Dargan-Ata, Turkmenistan, ist sie in der Ostukraine aufgewachsen, hat acht Jahre lang als Musikpädagogin in Jakutien gearbeitet und dann an der Moskauer Filmhochschule studiert. Bevor sie sich 1991 – der Liebe wegen – in Deutschland niederließ, war sie in ihrer Heimat eine bekannte Reporterin und Drehbuchautorin. Fast die gesamte UdSSR hat sie bereist. Was sie dabei alles erlebte an Abenteuerlichem, Bewegenden, Erschreckendem, wollte sie jetzt – vor ihrem 75. Geburtstag im September – noch einmal Revue passieren lassen.
Berühmten und Unbekannten setzt sie ein Denkmal. Auch fast Vergessenen wie Lew Termen, der in den 1920er Jahren das erste elektronische Musikinstrument baute, das Theremin, in Europa auch als Ätherophon bekannt, der es in den USA zum Millionär brachte und womöglich für die UdSSR spionierte, aber nach seiner Rückkehr verhaftet wurde und bei Kriegsausbruch in einem geheimen Labor ein funktechnisches Gerät erfand, für das er den Stalinpreis bekam. Was sie über Verhaftungen und Straflager erkundete, über Kampfdelphine und eine geheime Stadt, wo Waffenplutonium hergestellt wurde, hätte sie zu Sowjetzeiten nicht veröffentlichen können. Auch die Erzählung von Mütterchen Taissa über die „schlechten Zeiten“ der Kollektivierung wurde aus ihrem Film herausgestrichen.
Ein geheimer Tempel in Jakutien, der Rat eines echten Schamanen, ein Dessert aus roher Rinderleber mit Moosbeeren, das ihr im hohen Norden, bei den Nenzen, tatsächlich mundete, tadschikischer Plow (dazu gibt es sogar ein Rezept) – was die sehr verschiedenen Texte vereint ist das Interessante. Vielleicht ist es ja das, was dem Leben der Autorin die Würze gibt, so dass sie immer noch vor Tatkraft sprüht: Sie wird nicht müde, Erfahrungen zu machen. „Ich lebte tausend Leben“ hieß das erste von fast dreißig Büchern, die sie in Deutschland veröffentlichte.
Tatjana Kuschtewskaja: Mein geheimes Russland. Begegnungen und Erlebtes. Edition Noack & Block, 170 S., br., 20 €.