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Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

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Katharina Hacker: Die Gäste

Und wer schwarzsieht ist nicht besser, als wer die Hoffnung behält

In Katharina Hackers Roman „Die Gäste“ geht es turbulent und phantastisch zu

Von Irmtraud Gutschke

Jemand macht eine Erbschaft – ein altes Gehöft, gar ein Schloss – und es begeben sich wundersame Dinge. Wie viele unterhaltsame Romane und Filme haben wohl schon so begonnen. Und wenn es ein ziemlich heruntergekommenes Café ist, wie für Friederike aus dem neuen Roman von Katharina Hacker, dann dürfen wir erwarten, dass wir von dem Enthusiasmus etwas abbekommen, der von der 50-Jährigen gefordert ist. Wir bekommen mehr als das. So viel darf schon einmal verraten sein.

„Ihre Großmutter vererbt Ihnen zu ihrem fünfzigsten Geburtstag ein Ladenlokal“, hatte der Rechtsanwalt gesagt. Eine ziemlich skurrile Person übrigens wie so einige in diesem Roman. „Ein Café, um genau zu sein… Aber was soll ich mit einem Café, rief ich aus. Ist es nicht längst pleitegegangen? Ja, rief er laut zurück, das weiß kein Mensch, was Sie mit einem Café sollen, in diesen Zeiten!“

Was für Zeiten? Es ist die Zeit der Großen Pandemie. Besser gesagt, eine folgt auf die andere. Viele Geschäfte haben geschlossen, aber wenn es nur das wäre. Inzwischen sind weder Grabsteine noch Särge erlaubt. Gerüchte wechseln sich ab, welchen Tieren die Schuld an dem Virus zu geben sei. Heckenschützen lauern auf den Dächern, und die Leute haben sich an den Knall von Schüssen schon gewöhnt. Und wenn es nur das wäre: Die Frau wurde von ihrem Mann verlassen. Daniel wollte nach Übersee. Was noch schlimmer war: Auch Florian war gegangen, als er erfuhr, dass er ein Adoptivkind war. „Leben wir in einer sterbenden Welt“, diese seine Frage wird sie nie vergessen. Und den ganzen Roman über an ihn denken, auf ihn warten.

„In der Wohnung war es still, eine Taube gurrte vom Dach, es war freundlich aufgeräumt. Wo alle fort sind, könnten sie zurückkehren, und wer schwarzsieht ist nicht besser, als wer die Hoffnung behält. Und wer das nächste Unglück schon kommen sieht, hält es damit auch nicht ab“, hatte sie zu Florian gesagt.

Eine Frau allein also, inmitten einer desolaten Welt. „In deinem Alter, hast du denn keine Angst!“, bekommt sie in ihrem Dahlemer Institut zu hören als sie dort kündigt. Ja, ist es denn wirklich klug, alle Sicherheiten hinter sich zu lassen? Aber manchmal gelingt nur so ein Neuanfang. Eine Befreiung. Und auf die können wir uns beim Lesen freuen. Auf diesen Mut, auf diese Tatkraft, diese Offenheit für das Unerwartete. Das Vertrauen, dass da immer auch andere Menschen sind. Man muss nur auf die zugehen können.

Aber das ist keine sentimentale Geschichte, sondern zeigt eine Härte, wie sie uns hoffentlich nicht erwarten möge. Das Café muss erst einmal renoviert werden, und dann ist Besuch vom Gesundheitsamt, vom Veterinäramt und der Hygieneaufsicht zu erwarten. Wieso Veterinäramt? Aber war da nicht ein Geräusch?

Zum Glück gibt es Kasia und Stislaw, die ab und zu wieder nach Polen fahren, aber anpacken, wenn sie zurück sind. Und es gibt Robert, der Friederike streichelt. Wenn er denn kommt. Aber am Morgen verschwindet er meist wieder. Wohin? Wölfe zählen? Und sie lässt es geschehen, fragt nicht, wann er zurückkommt. Verlangt nichts, genießt den Augenblick. Wahrlich, eine kluge Frau. Sie lässt sich darauf ein, ohne Sicherheitsnetz zu leben. Aber es muss auch anstrengend sein.

Einmal bringt Stislaw einen großen, weißen Hund mit: Pollux. Irgendwann gegen Ende des Romans wird es scheinen, als ob er sprechen könnte. Aber da sind uns schon so viele phantastische Dinge begegnet, dass wir uns nicht mehr wundern. „Die Gäste“, die der Titel des Romans verspricht, auch wir erwarten sie. Und wenn sie kommen, so kaum in Scharen. Oft sind es zwielichtige Existenzen wie Herr Benedikt, der jungen Frauen irgendwelche Formulare zum Unterschreiben gibt. Wir schauen beim Lesen auf die Tür und warten, wer da erscheint. Viel ist auch nicht zu essen da, nun ja, oft wenigsten eine Suppe. Die Kaffeemaschine funktioniert.

Stislaw hat das Café gestrichen mit Farbresten, die er noch hatte: Orange, Grün, Gold und Blau. „Wenn Leute ins Theater gehen, muss es anders sein wie zu Hause.“ Und da ist ein grünes Sesselchen, auf dem Friederike schlafen kann. Sie kommt klar damit, sie ist sehr klein. Aber manchmal hört sie eben Geräusche aus der Bodenluke. Und einmal fasst sie sich ein Herz und öffnet den Deckel. Das kann doch nicht wahr sein! Fängt sie an zu phantasieren? In den Hof und die Remise, die auch zum Café gehören, traut sie sich lange nicht. Kaninchen, Katze, Fuchs, oder ist auch ein Pferd da? Und täuscht sie sich, war da auch ein Mann mit einem toten Kind?

„Manchem Unglück muss man ausweichen, manches Unglück muss man beheben, manches Unglück ist zu groß für eine Seele. Wir Menschen sind Idioten.“ Wie soll man die Stimmung benennen, sie uns beim Lesen ergreift? Ist es ein Sich-Abfinden? Wenn ja, so kein resignierendes. Ums Weiterleben geht es, trotz alledem. Als sie der Großmutter gebeichtet hatte, dass sie nicht schwanger werden könne, hatte die ihr eine kleine Rede gehalten. Jeder Mensch würde bei der Geburt einen Schutzengel mitbringen. „Also erwarte ich von dir gute Laune.“

Davon handelt das Buch: Wie eine Frau trotz aller Widrigkeiten die Zuversicht behält. Und das ist beschrieben in einer Sprache, die sich uns sanft ins Gedächtnis gräbt. „Die reinen Tage vergingen, kein Schauer und kein Schauermärchen fiel vom Himmel, blau blieb er und klar, und Pollux stand am Fenster, als wäre es nun Zeit, die tiefsten Dinge und die leichtesten zu verstehen.

Katharina Hacker. Die Gäste. Roman. S. Fischer Verlag, 256 S., geb., 20 €.

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