Was für erstaunliche Wesen wir sind …
Irmtraud Gutschke
… Und auch dieses Buch ist erstaunlich. Hochwertig in der Gestaltung – Wertschätzung durch den Verlag, die sich auf den Leser überträgt – mit feinen, detaillierten Illustrationen. Die wirken nicht kalt wie aus einem Anatomie-Lehrbuch, sondern haben den Zauber des Künstlerischen. Wie ein Jugendstilgemälde wirkt das ganzseitige Bild zu Nase und Zunge. das werden Kinder vielleicht gar nicht so wahrnehmen können. Wie immer bei guten Kinderbüchern: Erwachsene haben ihre besondere Freude daran.
Für Kinder ab acht ist dieses „Museum des Körpers“ empfohlen. Auch kleinere interessieren sich ja schon dafür, wie es ist mit Atmung und Verdauung, vor allem auch wie Kinder zur Welt kommen. Und bei manchen Erwachsenen gibt es sogar eine Scheu, ins eigene Innere zu blicken, weil sich dabei eine Angreifbarkeit verbirgt. Denn wenn nur eine Kleinigkeit nicht funktioniert, kann das ganze System betroffen sein. Krankheit oder Tod – davor möchte man die Augen verschließen nach dem Motto: Freu dich des Lebens, so lange es geht. Aber für Erwachsene, die ihre Augen offen halten, ist das Buch grandios. Sie sollten es im Bücherschrank haben und bei Bedarf herausziehen. Zum Beispiel, bevor sie mal zum Augenarzt müssen. Nach der Lektüre einer einzige Seite und einem Blick auf die Illustrationen haben sie das Grundlegende verstanden.
Freilich ist dies kein medizinischer Ratgeber, aber der umfassende Blick auf den Körper stellt auch Gedankenverbindungen her. Liegen die Schmerzen im Bein wirklich allein an Abnutzungserscheinungen im Kniegelenk oder kommen auch Nervenschmerzen hinzu? Sollte man es mal mit Vitamin B versuchen oder mit Magnesium? Der menschliche Körper ist ein dermaßen komplexes System, dass es ein Mangel ist, wie die Medizin ihn „zerteilt“. Im Detail betrachtet wird er auch hier, aber während man von Seite zu Seite – durch die einzelnen Räume des „Museums“ geht -, stellen sich Zusammenhänge her. Jennifer Z. Paxton, Dozentin für Anatomie and der Universität Edinburgh, bringt das Kunststück fertig, in ihren Texten Präzision mit Verständlichkeit zu verbinden. Und die Bilder von Katy Wiedermann, ich sagte es schon, faszinierend immer wieder. Denn man wird sich das Buch immer wieder anschauen – aus Interesse oder als Nachschlagewerk. So gut aufbereitet und so schön präsentiert bekommt man Informationen im Internet nicht. Hier sieht man mal wieder, wie gute Bücher unverzichtbar sind.
Was Kinder betrifft: Ich sehe mich (als Schülerin der 3. Klasse vielleicht), wie ich in diesem Buch blättere und mich immer wieder festlese. Die Mutter fragt, ob ich denn nicht mal nach draußen gehen will. Aber das ist doch gerade jetzt so spannend, sage ich. Muskel- und Skelettsystem, Herz-Kreislauf und Atmungssystem, Verdauungs- und Harnsystem, Das Nervensystem und die Sinnesorgane, Immun- und Lymphsystem, Hormon- und Fortpflanzungssystem – jedes einzelne ein Wunderwerk für sich, und alles greift ineinander. Was für erstaunliche Wesen wir sind!
Katy Wiedemann und Jennifer Z Paxton: Das Museum des Körpers. Eintritt frei. Aus dem Englischen von Ute Löwenberg. Prestel Verlag, 96 S., geb., 28 €.