Der Traum von Allmacht
In diesem Buch steckt tatsächlich eine Magie. Schon bevor man es aufschlägt und die zauberhaften Illustrationen von Jessica Roux sieht, gibt es sich allein schon mit dem Einband so ehrwürdig, wertvoll, als wäre es tatsächlich in einer alten Bibliothek gefunden worden. Allerdings erinnert das Porträt in der Mitte ein wenig an Harry Potter, wenn auch ohne Brille. Und es schwimmt wohl auch auf der Welle dieses Zauberschülers, der die Welt bezaubert hat.
Wie auch im englischen Original mitgeteilt, soll das Manuskript 1951 im Museum für Zauberei und Magie im britischen Cornwall als Teil einer anonymen Bücherspende gefunden worden sein. Dieses Museum gibt es tatsächlich, und auch der Name Conrad Gessner ist bekannt. In einem vom 15. Juni 1925 erklärt er seinem Enkel die Magie als „eine natürliche Kraft, die die ganze Welt erfüllt“. Hat Conrad Gessner denn nicht als Naturforscher und Arzt im 16. Jahrhundert in der Schweiz gelebt?
Wer mit dem Rätselhaften befreundet ist, wird dieses Buch lieben. Wer nicht, der lehnt es ab. Auch wenn die Zeit der Hexenverbrennungen gottlob vorbei ist, es gibt eine verbreitete Allergie gegen das Esoterische, Okkulte, Irrationale, das der christlichen Theologie ebenso widersprach wie dem Geist der Aufklärung. Vielleicht ist es Veranlagung: Ich gebe zu, schon als Kind habe ich mir gewünscht, Zaubern zu können, und hätte dieses Buch geliebt. Von zwölf Jahren an, lautet die Verlagsempfehlung. Aber wie schon öfter gesagt: Kinderbücher, wenn sie gut sind, kommen auch Erwachsenen zugute.
Wundervoll illustriert von Jessica Roux führt der Text von Poppy David zunächst durch die Geschichte der Magie, ehe die verschiedenen Spielarten – Wahrsagerei, Kartenlegen, Astrologie, Zahlenmystik, Zaubersprüche, Wettermachen, Alchemie, Zaubertränke – erklärt werden. Was immer auf eine ganz persönliche Weise geschieht, schließlich wendet sich ein Großvater an seinen wissensdurstigen Enkel. Es ist ja durchaus faszinierend, allem eine Bedeutung geben: der Sonne, dem Mond, den Sternen, demr Erde, dem Feuer der Luft, dem Wasser. Kristallen wird magische Kraft zugesprochen. Dass Pflanzen heilen, ist unumstritten. Thymian gegen Husten, klar. Basilikum gegen Insektenstiche, kann man probieren. Aber ob Pfefferminze Vampire abwehrt? Jedenfalls sind noch keine bei mir aufgetaucht.
Magische Tiere, magische Tage, magische Schriften, Hilfsmittel, ob Zauberstäbe oder Hexenhüte – was hat sich alles angehäuft über die Jahrhunderte, auch an Unsinnigkeiten. Wie wunderschön allein schon das Vorsatzpapier dieses Buches ist mit Girlanden aus Tarotkarten und Zauberstäben, Kristallen und Amuletten, Skarabäus und Eule. Sicher, es ist eine Traumwelt, die ihren Reiz immer schon darin hatte, dass Menschen sich mit ihrer Ohnmacht nicht abfinden wollten.
Das große Handbuch der Magischen Künste. Zusammengestellt von Poppy David. Illustriert von Jessica Roux. Aus dem Englischen von Cornelia Hartz. Prestel Verlag, 64 S., geb., 26 €.