Und dann läuft auch noch ein Russe herum
Dirk von Petersdorf zaubert uns eine turbulente west-ostdeutsche Begegnung in Brandenburg
Irmtraud Gutschke
Zwei Paare: Jenny und Friedrich sind mit ihren beiden Söhnen aus Westdeutschland nach Brandenburg gezogen. Rolf und Beate lebten immer schon dort und sind zum Essen eingeladen. Gemächlich mit der Zubereitung von Salat und Quiche Lorraine beginnt Dirk von Petersdorffs Novelle „Gewittergäste“ – und steigert sich zu einem großen Finale. Der Autor lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, sagt der Klappentext. Geboren 1966 – in Kiel, das steht da nicht. Häufig werden solche Ost-West-Begegnungen ja aus östlicher Sicht erzählt. Dass es hier andersherum ist, macht das Buch gerade für ostdeutsche Leser erfrischend. Wir können uns von der Seite betrachten. Der „Ostdeutsche war ein weitgehend unbekanntes und unverständliches Wesen geblieben. Er sah die gemeinsamen Welt offenbar mit anderen Augen an, und er sah, dass vieles, das meiste, fast alles schlechtlief.“ Was Jenny da so denkt, während sie Weingläser und Wasserbecher auf den Tisch stellt, ist nicht mit der Ansicht des Autors zu verwechseln. Aber ist nicht doch etwas dran? „Sie haben erlebt, wie es ist, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn du in einer Welt aufwachst, die du nicht kennst, in der du dich mühsam zurechtfinden musst“, meint Friedrich. „Bis zur Körperhaltung, stelle ich mir vor. In der DDR musste man geduckt herumlaufen …“
Das kann vom Autor doch nicht ernst gemeint sein. Die Gäste sind alles andere als geduckt. Sie tragen ein Selbstbewusstsein vor sich her, das freilich mit Minderwertigkeitskomplexen in Beziehung stehen könnte. „Die Ostdeutschen werden zum Schweigen gebracht, marginalisiert“, schimpft Rolf. Aber da ist er schon ein bisschen betrunken. So wie der Alkoholpegel an diesem Abend überhaupt steigt. Und dann taucht auch noch Tine auf, mit der Friedrich früher mal eine schöne Zeit hatte. Der kleine Paul im hellblauen Schlafanzug kommt heruntergetappt. Und der ältere, Georg, bringt seinen Freund, einen Syrer, mit, der sich „Deutschland ordentlicher vorgestellt“ hat.
„Was soll aus diesem Deutschland noch werden“, klagt Rolf, „wir dürfen gespannt sein, das Schlimmste kommt noch.“ Wie passend, dass sich da gerade ein Gewitter zusammenbraut. Wetterleuchten, dann blitzt es und donnert, Äste fallen – man genießt es, wie der Autor dabei zu Hochform aufläuft. Mitten in den Wetterturbulenzen taucht auch noch ein russischer Soldat in brauner Uniform auf. Zum Gedenken an seinen Freund, der als Deserteur erschossen worden war, besucht er seinen einstigen Standort. Kann das denn wahr sein. Dass dann noch ein amerikanischer Hubschrauber notlanden muss, ist beinahe zu viel. Zu viel Erdbeeren mit Rum hat es ohnehin schon gegeben. An seinen fulminanten Bildern wird sich Dirk von Petersdorff wohl augenzwinkernd auch selber erfreut haben. Und wir stimmen der müden Jenny zu: „Nie wieder Rumtopf und nie wieder Krieg.“
Dirk von Petersdorff: Gewittergäste. Novelle. C.H. Beck Verlag, 124 S., geb., 20 €.