„Meerjungsfrau Prinzesserich“
Ernst gemeint und voller Witz: „Rusalko“ von Kerstin Hensel
Irmtraud Gutschke
Das Aquarell von Cornelia Seelmann zeigt ein niedliches kleines Wesen in einer Muschelschale. Langes grünes Lockenhaar, korallenroter Mädchenmund, die Arme, so heißt es, jedoch ungewöhnlich muskulös, die Brust flach und breit. „Ist die Prinzessin nun eine Nixe oder ein Nix oder ganz und gar gar nix?“, tuscheln die Unterwasserbewohner. „Ich bin doch eine ganz normale Meerjungfrau“, dachte Rusalka. Doch ringsum „kicherte, gluckste und grollte es“. Ihr Vater, ein „königlicher Nix“, lässt sich indes nicht beirren. Denn er liebt sein Kind. Umso mehr, als ihm seine Frau weggelaufen ist. Die wollte einen Mann, der keinen Fischschwanz hat, und sich selber an zierlichen Füßen die Nägel rot lackieren. Wie die Heldin aus Antonín Dvořáks berühmter Oper sehnt sie sich nach Liebe. Dafür lässt sie in der Geschichte von Kerstin Hensel ihr Baby allein. Obwohl sie diesbezüglich nicht die erste und nicht die letzte ist, müssen Kinder von drei bis acht, für die das Buch gedacht ist, das als Skandal empfinden. Kann sie auf diese Weise etwa glücklich werden? Und was ist der Mann wert, den sie trifft?
König Rochus aber will seine Tochter glücklich sehen, auch wenn sie anders aussieht, als er es sich vorgestellt hat. Drei Tage und drei Nächte grübelt er über eine Namensänderung. Bald weht über der Rochusburg das Banner des Neuen: „Meerjungsfrau Prinzesserich Rusalko von Rochusburg“. Ein Name sowohl „mädchen- als auch jungenhaft und außerordentlich elegant“. Doch „Knorpelhaie verschluckten sich vor Empörung. Quallenhirne begriffen nicht, was sich geändert hatte.“ Und der Doktorfisch, der „sich Sorgen um die Volksgesundheit machte, meldete seinen Verdacht dem Wellengott“.
Bis dahin ist es ein Buch, wie es angesichts des Titels zu erwarten war, nur eben viel heiterer als gedacht. Die Autorin packt ein Thema für Kinder an, das Erwachsenen vielleicht schwierig erscheint, aber auf einen einfachen Nenner zu bringen ist: Wie du dich fühlst, so bist du eben. Und Rusalko ist sogar ein bisschen stolz, „keine gewöhnliche Prinzessin, sondern ein Prinzesserich“ zu sein. Er oder sie? Kerstin Hensel entschied sich für das weibliche Pronomen und schickt Rusalko nun durch die Unterwasserwelt, wo sie gegen den engstirnigen Wellengott ungeahnte Abenteuer zu bestehen hat. Da spürt man, wie sich die Schriftstellerin selber freudig von ihren Einfällen mitreißen lässt. Und weil Kerstin Hensel zudem eine Dichterin ist, stürzt sie sich ins Spiel der Worte. Wie witzig das immer wieder ist! „Alle mal herhören!“, ruft der König. „Es gibt Meermöhren?“, fragen die Rochen. „Wachschutz! Ihr sollt die Ohren aufsperren“, brüllt nun Rusalko mit ihrer tiefen Stimme. „Lachschmutz? Wir sollen Motoren aufkehren?“
Was für ein Spaß beim Vorlesen. „Ihr seht ja aus wie Eierkuchen mit Schwanz!“, sagt der kleine Meerhund Wubbel zu den Rochen. Aber nicht sie werden es sein, die am Ende den dumpfen Wüterich besiegen, sondern Rusalko, zumal sie weibliche Hilfe hat. „Allmächtiger Meergott!“, murmelt sie, als sie ein düsteres, moosbewachsenes Wesen vor sich auftauchen sieht. „Ich bin nicht der Meergott, sondern die Margot“, bekommt sie zu hören. Die „hornalte Lederschildkröte“ wird ihr fortan eine lebenskluge Begleiterin sein. Und weil in einem Märchen alles gut ausgehen muss, wird sogar noch Rusalkos törichte Mutter erlöst von ihrem trinkenden Mann.
Zauberwelten in Grün, Blau und Türkis führt uns Cornelia Seelmann filigran vor Augen. Ob daraus nicht ein wunderbarer Zeichentrickfilm werden könnte, dachte ich mir. Aber erst einmal wollen wir doch mit diesem phantasievollen Buch zufrieden sein, über dessen Widmung ich mich schon freute. Denn da dankt die Autorin ihrer Enkelin Dshamilja, in deren Namen ja Tschingis Aitmatows berühmte Novelle weiterlebt.
Kerstin Hensel: Rusalko. Ein Unterwassermärchen. Illustrationen von Cornelia Seelmann. Eulenspiegel Kinderbuchverlag. 40 S., geb., 18 €.