Macht des Lichts und der Dunkelheit
„Die Zauberflöte“ als „musikalisches Bilderbuch“
Irmtraud Gutschke
Auf der ersten Bildseite: Das könnte ich als Sechsjährige sein mit meiner Großmutter auf dem obersten Rang des Opernhauses in Karl-Marx-Stadt, wo eine Karte damals nur zwei Mark gekostet hat. Wir haben uns Mozarts „Zauberflöte“ angesehen. Die Königin der Nacht in ihrem schwarzen Glitzerkleid fand ich zum Fürchten, in ihren Koloraturen spürte ich Hass. Sarastro, ihren Gegenspieler, aber liebte ich. Den Text seiner großen Arie „In diesen heil’gen Hallen“ habe ich über die Jahrzehnte im Gedächtnis bewahrt. Und das einzige, was ich in diesem schönen Buch vermisse, ist dieser Gesang auf der beiliegenden CD. Sonst findet sich dort nämlich alles: von der Ouvertüre, dem „Zu Hilfe! Zu Hilfe!“ des Prinzen Tamino und seinem „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“, den Arien des lustigen Papageno bis zum Schlussgesang „Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“, dessen Triumphieren für mich inzwischen etwas Fragwürdiges hat.
Für Marko Samsa ist dies nicht das erste „musikalische Bilderbuch“ im Annette Betz Verlag wie auch für die Illustratorin Doris Eisenburger nicht. Sie führen auf eine Weise in die berühmte Mozart-Oper ein, dass schon Fünf- bis Siebenjährige es verstehen. Wir sehen Kinder im Zuschauerraum sitzen und Erwachsene die mit einem Finger vor dem Mund signalisieren: Still, gleich geht es los. Die Ouvertüre erklingt, der Vorhang hebt sich. Tamino flieht vor einem Ungeheuer, fällt in Ohnmacht und wird von drei schwarz gekleideten Damen gerettet, die ihm später nicht ohne Hintergedanken das Bildnis der Königstochter Pamina überreichen. Er soll sich verlieben und sie aus dem Schloss von Sarastro befreien.
Befreiung einer geraubten Prinzessin mit anschließender Heirat – ein beliebtes Märchenmotiv. Es lebt im Vordergrund des Librettos von Emanuel Schikaneder, das Marko Simsa wie ein Märchen nacherzählt. So kindgemäß nachvollziehbar wie textgetreu. Ob dabei noch ein verborgener „Untertext“ spürbar wird, liegt ganz beim erwachsenen Leser. Heute mehr als einst kann ich den Zorn der Königin nachvollziehen, schließlich hat ihr Mann sein Reich nicht ihr, der Frau, sondern König Sarastro überlassen. Der nahm die Sonne und das Licht und holte sich auch noch ihre Tochter. Wie sollte ihr da nicht nach Rache sein? Das Weibliche als das eifernde Böse? Dagegen der Mann ruhig, klug und gerecht? Heute ist bekannt, wie Mozart in Sarastro freimaurerische Ideale verkörpert hat. Aber geht es bei diesem Mann voller Würde nicht letztlich auch vorrangig um Macht? Streit zwischen Mächtigen. Nur Papageno, dieser lustige Vogel, scheint frei von solchen Gelüsten zu sein.
Ob man Kinder in solche widersprüchlichen Gedanken hineinziehen sollte, weiß ich nicht. Worüber man mit ihnen aber ruhig mal reden sollte: dass Sonne und Sterne, Licht und Dunkelheit zusammengehören, dass wir Menschen beides brauchen. Und wem die Nacht das Böse ist, der vergisst die vielen Pflanzen und Tiere, die gerade auch die Dunkelheit für ihr Weiterleben brauchen. Was „Lichtverschmutzung“ ist, dürften auch Kinder verstehen.
Marko Simsa u. Doris Eisenburger: Die Zauberflöte. „Das musikalische Bilderbuch“ mit Begleit-CD. Annette Betz Verlag, 32 S., geb., 25 €.