Lesen Sie dieses Buch
„Eiszeit. Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ von Gabriele Krone-Schmalz
„Eiszeit. Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ von Gabriele Krone-Schmalz. Das Buch hat in kurzer Zeit bereits mehrere Auflagen erreicht. Dabei ist es angesichts des brisanten Themas verwunderlich, dass es relativ wenig rezensiert worden ist – oder eben nicht verwunderlich.
„Eiszeit. Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“– ein meinungsstarker Titel, der auf eine verbreitete Unzufriedenheit mit der Russland-Berichterstattung in deutschen Medien baut. Das betrifft mehr Menschen als Journalisten vielleicht glauben. Jeder, der das jetzt liest, wird aber auch andere kennen, die voller Misstrauen nach Osten blicken, weil sie in Zeiten des Kalten Krieges so gepolt worden sind, die sich ihre Vorurteile auch nicht ausreden lassen wollen. Die nehmen ein Buch mit diesem Titel wahrscheinlich nicht zur Hand. Was schade ist.
Bei mir gab es eine andere Hürde: Ich meinte, dass mich die Autorin nicht zu überzeugen brauchte. Aber schon als ich anfing zu lesen, merkte ich, wie viel ich eben doch nicht so genau wusste. Und nun, nach 300 Seiten, sage ich: Lesen Sie dieses Buch, sofern Sie sich nur irgendwie für Geschichte und Politik interessieren.
Nicht nur um Russland geht es, sondern auch um die einstigen Sowjetrepubliken, die Ukraine, Georgien, Kirgistan, Moldawien, die baltischen Staaten, es geht um Polen, Deutschland, die arabischen Länder und um die Politik der USA. Gabriele Krone-Schmalz gelingt etwas, was Journalisten, wenn überhaupt, nur ansatzweise fertigbringen: Sie kann die Welt als Ganzes betrachten, so dass man beim Lesen sieht, wie sich Konflikte verzahnen. Auch welche historischen Wurzeln sie haben, wie sie herangereift sind und sich auf die öffentliche Meinung in den jeweiligen Ländern ausgewirkt haben. Beim Lesen wird einem klar, warum die politische Wirklichkeit unterschiedlich wahrgenommen werden kann.
Wie gesagt, Gabriele Krone-Schmalz war und ist nicht allein damit, dass sie Gefahren sieht und sich Sorgen macht. Aber als einstige ARD-Korrespondentin in der UdSSR hat sie den meisten Lesern hierzulande voraus, dass sie das Land bestens kennt. Wobei das Erlebnishafte hier gar nicht mal so eine große Rolle spielt wie in ihren früheren Büchern. Hier geht es um Fakten, die durchaus schon mal in den Zeitungen gestanden haben, manche allerdings auch nicht, die sie aber, und das ist ihr Verdienst, in Zusammenhänge bringt. Das liest sich mitunter spannend wie ein Krimi.
Wie groß war weltweit die Begeisterung für Gorbatschow und seine Entspannungspolitik, die – milde gesagt – den Zerfall des sowjetischen Imperiums, den Verlust bisheriger Machtpositionen in Kauf nahm. Hans Magnus Enzensberger hat Gorbatschow deshalb einen Helden des Rückzugs genannt. Dass sich die NATO nicht nach Osten ausdehnen würde, davon war in den Verhandlungen um die deutsche Vereinigung die Rede gewesen, aber eine vertragliche Zusage forderte Gorbatschow nicht ein.
Präsident Jelzin hat sich dann vorbehaltlos nach Westen orientiert, gleichzeitig aber reihenweise Zeitungen verboten und eine Korruption ungeahnten Ausmaßes zugelassen. Nur wenigen dürfte noch bekannt sein, welche Rolle der Internationale Währungsfonds in Russland spielte und dass Jelzin für Russland sogar eine NATO-Mitgliedschaft anstrebte, was von den USA natürlich nie in Erwägung gezogen wurde. „Bis Mitte 1990er Jahre halbierte sich das russische Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zu 1989“, heißt es im Buch. Vielen ist ja hier gar nicht klar, was mit diesem Riesenland passiert ist, das einmal ein Siebentel des Festlandes der Erde umfasste.
Und gleichzeitig ist Russland im historischen Selbstverständnis eine Weltmacht mit dem berechtigten Anspruch, in ihren Interessen ernst genommen zu werden. Dafür will die Autorin Verständnis wecken. „Russlandversteherin“ – nicht aus schmeichelhaften Gründen wird Gabriele Krone-Schmalz dieses Etikett mitunter angeheftet. Dazu muss man sagen, dass sie auch eine USA-Versteherin ist, sie hat sogar kurze Zeit im ARD-Fernsehstudio New York gearbeitet. Überhaupt: Wie ist eine Gesellschaft verfasst, wenn das Wort „verstehen“ einen negativen Beiklang hat? Eine solche Gesellschaft ist eigentlich schon nicht mehr friedlich. So lange es Staaten gibt, werden international verschiedene Interessen aufeinanderstoßen. Aber wenn es um friedliches Zusammenleben geht, muss immer wieder ein Ausgleich gesucht werden. Und das kann man nur, wenn man sich in die Lage des anderen hineinversetzt und versucht, die Dinge mal nicht nur aus der eigenen Perspektive zu sehen.
2014 hat Präsident Obama von Russland als einer Regionalmacht gesprochen. Das hätte er nicht tun sollen. Da hat er sich in eine starke Pose geworfen, die beleidigend war. Was Truppenstärken und Militärstützpunkte betrifft, im Buch wird das genau aufgeführt, sind die USA Russland tatsächlich überlegen, fordern eine Verteidigungshaltung geradezu heraus. Und sie sind weit weg, wenn es hier in Europa zu Konflikten kommt. Schaffen Raketenabwehrsysteme etwa einen Schutzschirm? Auf diese Frage gibt es Buch so überzeugende Antworten, dass ich nachts nicht schlafen konnte. Im Kalten Krieg wird das Kräftegleichgewicht nicht folgenlos verschoben. Manch einer erinnert sich vielleicht noch an die Kubakrise, als die Sowjetunion 1962 auf die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Türkei mit SS-4 und SS-5 Raketen auf Kuba reagierte, und Kennedy drohte, er werde notfalls Atomwaffen einsetzen. Und was wird an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine geschehen, nachdem Poroschenko das Gesetz über die Reintegration des Donbass unterschrieben hat, das dafür die Anwendung aller militärischen Mittel erlaubt? Was, wenn die Hardliner in Kiew gar Atomwaffen in die Hand bekämen? Oder Atomwaffen in Polen, die Moskau erreichen könnten? Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das Europa in keiner Weise von Nutzen ist.
Gabriele Krone-Schmalz: Eiszeit. Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist. Verlag C.H.Beck, 304 S., br., 16,95 €.