Unterführung mit Pegasus
In der Zauberwelt von Einar Turkowski
Von Irmtraud Gutschke
An dieser Unterführung ist erst einmal nichts Besonderes. Sie führt durch einen Berg. Eine lichte Höhe von 3.6 Metern ist ausgewiesen, aber so leicht kommt niemand hindurch. Denn davor liegt ein „Geschöpf“. Auf den Jungen, der da auf seinem Fahrrad unterwegs ist, um die Landschaft zu erkunden, wirkt es „etwas klapprig und fragil … Suchte es Schutz vor der drückenden Hitze? Wenn es eine Bewegung machte, war diese sehr sparsam und wurde begleitet von einem knöchernen Knirschen.“ Also zog er es vor, es in Ruhe zu lassen und einen Umweg über die Hügel zu nehmen.
Die filigrane Bleistiftzeichnung zeigt uns, was es ist: ein Pegasos, offenbar tatsächlich erschöpft. Legte sich das geflügelte Pferd gar zum Sterben nieder? Ein Blick in die Seele des Jungen dürfte für das Dichterross allerdings belebend gewesen sein. Denn Chaska hat die Gabe, Wirklichkeit auf eine besondere Weise zu erleben und uns damit anzustecken, wenn er davon erzählt.
Mit dem Umzug in eine fremde Stadt hatte es begonnen und mit einem BMX-Rad, vom Vater geschenkt. Es war schwarz und hatte goldglänzende Felgen. Jeden Tag würde Chaska nun damit unterwegs sein, und irgendwann würde ihn sogar sein größerer Bruder dabei begleiten.
Auf dem Buchumschlag sieht man den Jungen vor der Absperrung eines Filmstudios, hinter dem sich eine Wunderwelt verbirgt. „Ich möchte gerne Filme machen“, sagt Chaska am Schluss zu seinem Bruder. „Das ist eine gute Idee“, antwortet er. Die Geschichte ist aus der Rückschau erzählt. Ein Filmemacher erinnert sich an seine Kindheit, einen schönen Sommer, in dem er so viel erlebt und erforscht hat. Unbekannte Wege, die an die Grenze von Wirklichkeit und Phantasie führen. Unter einer riesigen Goldpappel taucht eine Katze mit Sternenfell auf. Die wird er wiedersehen. Aus einem Fenster schaut ein tätowierter Puppenkopf. Vermisste die Schwester nicht eine Puppe? Gibt es wirklich „Dachparasiten“? Und was verbirgt sich hinter der mit Eisenplatten verschlossene Tür zu einem Aquarium?
Einar Turkowski mag das Rätselhafte, auch ein wenig Gruslige. Auf jeder Seite seines Buches findet sich etwas davon. Zunächst sind es ja seine eindrucksvollen, unglaublich detaillierten Bleistiftzeichnungen, die den Blick fesseln. Wer versteht heute noch, so zu zeichnen? Doch wenn man sich in das Buch vertieft, ist man auch fasziniert von der Art, wie er erzählt.
Da hat er seinem Chaska wohl auch manches von sich selbst mitgegeben. „Hab vor allem keine Angst vor deiner Vorstellungskraft. Sie macht dich zum Magier“, bekommt Chaska von seinem Bruder zu hören. Und wir verstehen, dass Einar Turkowski tatsächlich zu solch einem Magier geworden ist.
Einar Turkowski: Die Geheimnisse von Pinewood Hills. Kunstanstifter Verlag, 40 S., geb., 28 €.