Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Gregor Gysi: Was Politiker nicht sagen

Glänzend und mit Humor

Das neue Buch von Gregor Gysi

Von Irmtraud Gutschke

Der Titel verspricht viel: zu viel. „Was Politiker nicht sagen“, davon wüsste man gerne Genaueres, zumal heute, da Deutschland fast schon zur Kriegspartei im Ukraine-Konflikt wurde, der auf verdeckte Weise die Auseinandersetzung zweier Supermächte wurde. Man wüsste gern Genaueres, wo da noch Kräfte sind, die Deutschland aus diesem Konflikt heraushalten wollen und können, oder ob wir sehenden Auges in soziale Unruhen hineinschlittern, weil der Wirtschaftskrieg zu Lasten der Bevölkerung geht.

Dass vieles hinter verschlossenen Türen ausgekungelt wird, zumal in politisch brisanten Situationen, bleibt trotz des reißerischen Buchtitels unbenommen. Aber erst einmal freut man sich auf Gregor Gysis mögliche Enthüllungen, zumal er einen vom Umschlag so charmant ironisch anblickt. Ich werde ihn wohl immer gern sehen und hören. Ja, ich bin ein Gysi-Fan, seit ich im Dezember 1989 den Sonderparteitag der SED im Fernsehen verfolgte und in inneren Jubel ausbrach, als Gysi zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Jetzt würde alles anders, besser werden. Zuvor hatte ich ihn auf der Großdemonstration am 4. November erlebt. Das war einer, dem ich vertrauen konnte und wollte.

Schon mehrmals hat er seitdem für sich und seine Fans sein Leben Revue passieren lassen. Da könnte sein neuestes Buch womöglich sein persönlichstes sein. Wobei das Wort „sagen“ im Titel auch Programm ist. Es geht hier vor allem auch um Sprache, um „die Dinge beim Namen zu nennen oder eben nicht“. Dass Sprache auch ein Feld politischer Kampfbegriffe ist, illustriert er am Begriff „Unrechtsstaat DDR“ oder „Arbeitnehmerin“ und „Arbeitgeberin“. „Klimawandel“: Recht hat er, dass dies beinahe malerisch klingt. Sprache diskriminiert oder verschleiert. Dass sie im Sinne der Macht manipulierend wirkt, wundert uns das?

Denn Politiker wollen wiedergewählt werden. Ein ganzes Kapitel im Buch ist den Wahlkämpfen und Wahlplakaten gewidmet. Und nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl. Nur sagen, was die Leute hören wollen? Verständliche Sprache und wahrhaftige Sprache – bei Gregor Gysi kommt eine unbestreitbare rhetorische Begabung hinzu. Das Buch ist glänzend und dabei verständlich im Stil, und es steckt voller Humor. Die Selbstironie hat Gregor Gysi zweifellos anderen Politikern voraus. Deshalb lädt man ihn ja so gerne in Talkshows ein. „Auf der einen Seite mag ich das Gespräch. Ich bin neugierig auf Menschen …. Andererseits weiß ich um die beschriebene mediale Methodik, die gnadenlos verkürzt, gewiss auch verkürzen muss.“ Interessiert man sich denn wirklich füreinander? Da gab es auch Momente, die wehtaten. Gregor Gysi plaudert. Wir wissen ja: Das kann er brillant.

Das Buch ist vor diesem Krieg entstanden, der uns jetzt so auf der Seele liegt. In seinen heutigen Aussagen dazu wiederholt Gysi, was er auch früher schon betonte. „Politische und völkerrechtliche Maßstäbe müssen in der Welt für alle und alles gelten.“ Und: „Was mehr und mehr auf die Tagesordnung rückt, ist ein neues Bündnis für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – unter Einbeziehung eines veränderten Russlands.“ Inwieweit verändert? So, dass es besser zum Westen passt? Gerade wendet sich Russland vom Westen ab. enttäuscht und rigoros.

Gregor Gysi: Was Politiker nicht sagen. …weil es um Mehrheiten und nciht um Wahrheiten geht. Econ Verlag, 271 S., 22 €.

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