Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust
Goethes „Faust“ als Graphic Novel von Alexander Pavlenko
Von Irmtraud Gutschke
Die schönste Zeichnung für mich ist die auf Seite 57, sie ist auch auf die Rückseite des Bandes gedruckt: Faust und Mephisto fliegen zusammen über den Häuserdächern, unter denen die biederen Bürger schlafen. Der eine hält sich am anderen fest: Wie ein Doppelwesen erscheinen sie. Und sind sie es denn nicht? Ist es nicht so, dass der schöpferische Geist schon seine Versuchungen in sich trägt?
Faust: ein alter, bärtiger, schon etwas verbitterter Mann. „Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“ In der Bearbeitung von Jan Krauß für diese Graphic Novel sind alle Schnörkel weggelassen: „Ich habe Philosophie, Recht, Medizin und – leider – auch Theologie studiert … nur um zu erfahren, dass wir nichts wissen können.“ Gefällt mir die neue Fassung besser als die ursprüngliche? Erstmal hatte ich Vorbehalte. In Weimar aufgewachsen, habe ich „Faust I“ fast auswendig gekonnt. Den „Osterspaziergang“, den wir mit unserer 8. Klasse im Weimarer Park in Szene setzten, finde ich hier auf wenige Zeilen zusammengeschrumpft. Manche Zitate sind noch original geblieben: „Glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!“ Und dann taucht der „schwarze Hund“ auf, der für Alexander Pavlenko, zu Recht, rein gar nichts von einem Pudel hat…
Wer den Original-„Faust“ will, wird indes in vielen Ausgaben fündig. Zu Recht wohl ist der Verlag, der sogar Edition Faust heißt, jüngeren Generationen entgegengekommen, die hier einen spannenden Historienfilm erleben. Alexander Pavlenko hat ja nach seiner Ausbildung in Trickfilmkunst in mehreren Moskauer Filmstudios gearbeitet sowie Science-Fiction- und Abenteuerromane illustriert. Beides fließt zusammen in dieser Graphic Novel. Der schnellen Abfolge von Szenen fiel manches Grüblerische zum Opfer. „Zwei Seelen wohne, ach, in meiner Brust“ – habe ich etwa dieses wichtige Zitat übersehen?
Janusköpfigkeit des Schöpferischen: Fortschritt und Verderben. Quälende Doppelnatur, wie sie auch Goethe selbst wohl kannte. Zerrissenheit eines schöpferischen Geistes: „Die eine hält in derber Liebeslust
sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.“ Ins Banale übersetzt: Du verlierst unreflektiertes Leben, wenn du dich in Gedanken vergräbst. Bei Pavlenko herrscht Action: Auf einem Fass reiten Faust und Mephisto aus „Auerbachs Keller“ in Leipzig heraus. Und im Hexenhaus dann Spannung pur. Mephisto sieht plötzlich aus wie … Vier Affen mit Fackeln bilden einen Zauberkreis, und Fausts faltige Hände werden wieder glatt.
Macht des Visuellen. Pavlenkos Gretchen sieht so unschuldig naiv aus, dass sie Fausts Verführung erliegen muss. Und dann: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer…“ Es geht so weiter, wie man es kennt, nur in filmisch schnelleren Schnitten, bis zur berühmten Kerkerszene. Aber gab es da nicht noch ein versöhnliches Ende? „Wer immer strebend sich bemüht, den werden wir erlösen“? Nein, das stammt aus „Faust II“, den ich mir auch von Alexander Pavlenko illustriert und von Jan Krauß nacherzählt wünsche.
Alexander Pavlenko: Faust. Eine Graphic Novel nach Gothes „Faust I“. Adaptiert von jan Krauß. Edition Faust, 166 S., geb., 24 €.
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