Hinter dem Wundersamen der Schrecken
Djaimilia Pereira de Almeida blickt durch einen Garten in die portugiesische Seele
Von Irmtraud Gutschke
Wundersam leuchtende Blumen vor tiefschwarzem Grund: Der Buchumschlag mag schon erahnen lassen, was lesend zu erwarten ist. Ein zauberhafter Garten, in dem alles wuchert, duftet und blüht, liebevoll gehegt und gepflegt von einem alten Mann namens Celestino, in dem viel Dunkles ist. Bevor Djaimilia Pereira de Almeida allerdings mit dessen Geschichte beginnt, verblüfft sie uns mit einer Passage aus dem Roman „Die Fischer“ von Raul Brandāo (1867-1930). Darin war schon von diesem Celestino die Rede ist, „der sein Leben als Pirat begann und als Heiliger beschloss, der gewissenhaft seinen Garten bestellte“. Man muss schon Wikipedia bemühen, um herauszufinden, dass dieses Buch 1923 in Portugal erschien, knapp 60 Jahre bevor Pereira de Almeida in Luanda geboren worden ist. Sie wuchs in Portugal auf, promovierte als Literaturtheoretikerin und wurde mit mehreren Preisen geehrt, die uns der Klappentext aufzählt. Wenn sie sich Celestino nicht selbst ausdachte, was reizte sie an Brandāos Gestalt?
Sie erweckt den alten Kapitän zum Leben, wie er heimkehrt und den Garten als Lebenssinn entdeckt. „Von außen betrachtet forderte das Haus die Fantasie zum Tanz auf.“ Wer dazu bereit ist, wird eine Sprache genießen, die außergewöhnlich ist. Präzision der Beschreibung verbindet sich mit einer Überhöhung, von der sich die Autorin beim Schreiben wohl selber tragen ließ. Euphorie des Benennens, süchtig nach Einzelheiten, so dass wir alles plastisch vor Augen sehen. „Die Laken wehten von den Möbeln auf, und der Kapitän hatte Angst, die Seele des Hauses könnte aus dem Fenster davonfliegen …“ Ein barocker Stil, magischer Realismus? Als ob es ein Zaubergarten wäre „mit seinen Nelkenbeeten und roten Geranien, den leuchtend rosa Wicken …, dem vom Gärtner erdachten Bewässerungskanälen, den bunten Schnüren, mit denen die oberen Zweige der Teerosen an den Hauswänden befestigt waren, dem Frieden, der Liebe, die in alles hineingelegt worden war“. Als ob nicht wahr wäre, was im Dorf über Celestino umgeht: Misstrauen, Aberglaube?
Das Wundersame und das Schreckliche – eines gegen das andere gesetzt. Wohliges Schaudern bei den Kindern, denen er seine Geschichten erzählt: „Er hat einem Zwerg den Kopf abgeschlagen, … eine Frau zweigeteilt. Er ist in den Kongo gegangen und hat dort einen Elefanten in Brand gesteckt.“ Dass er seine Seele an den Teufel verkauft hätte, meint der Padre. „Er redet mit den Geistern und hat über tausend Neger getötet“, munkelt es im Dorf.
Und tatsächlich werden Geister bei ihm erscheinen: ein kleines Mädchen und eine alte Frau. Eigentlich müssten sie ihn ja erschrecken, doch wirken sie sogar beruhigend auf ihn, der alternd immer mehr verwahrlost und langsam seinen Verstand verliert. Die Autorin beobachtet ihn einfühlend – anders als die Pflanzen, die ihm gegenüber, wie er weiß, gleichgültig sind. Oder trifft der Romantitel „Im Auge der Pflanzen“ auch auf sie zu? Auf ihren forschenden Blick, der jegliche Empörung uns überlässt?
Seit dem frühen 15. Jahrhundert war der Sklavenhandel für Portugal ein Geschäft, das wie selbstverständlich betrieben worden ist. Allein zwischen 1710 bis 1830 wurden rund 1,2 Millionen Afrikaner über den Hafen von Luanda verschleppt. Wie gesagt, Pereira de Almeida ist in Luanda geboren. Wie Portugal über seine grausame Geschichte hinwegging und nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei sich sehr erfinderisch zeigte bei der Ausbeutung von Menschen aus den einstigen Kolonien, konnte sie nicht als Alltagsnormalität abtun.
Da denkt man auch an den großen portugiesische Autor António Lobo Antunes, der in den 1970er Jahren Militärarzt in Angola war und schreibend seine Kriegserlebnisse zu bewältigen suchte. Aber bei Djaimilia Pereira de Almeida ist es anders. Sie müsste in der Position einer Anklägerin sein, hält es aber immer nur ganz kurz darin aus. Über weite Strecken des Romans behält sie den freundlichen Blick jener alten Schwarzen im bunten Rock, die Celestino im Atlantik ersäufte und die ihm nun liebevoll wie eine Amme erscheint. Ist Sanftheit stärker als Empörung? Insofern, als die Verdrängung ja unterschwellig bewusst ist, mit der sich die Nachkommen der Sklavenhändler vor Schuldgefühlen schützen und sich durch harte Anklage oft gar noch verstärkt. Pereira de Almeida aber interveniert nicht, sondern lässt ihre Leserinnen und Leser selber Schlüsse ziehen.
Djaimilia Pereira de Almeida: Im Auge der Pflanzen. Roman. Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita. Unionsverlag, 125 S., geb., 20 €.