Unterwegs mit einer zartgeflügelten Dampfwalze.
„Geschichten unter einem weiten Himmel“ von Albert Wendt: Lustvolles Erzählen, das auf Grundsätzliches zielt
Von Irmtraud Gutschke
„Es gibt Geschichten, die klopfen an die Tür und treten ein…“ Aber es gibt auch welche, für die man in die „Tiefe stürzen“ muss. Wobei sich das Dunkle bei Albert Wendt nicht vordrängen soll. Beim Lesen dieses Sammelbands sehe ich ihn in Gedanken von Kindern umgeben. Er spricht zu ihnen, als habe er sich das alles gerade erst ausgedacht. Er genießt ihr Staunen, ihr Lachen und ist ja selbst auf ein Lachen aus. Denn alles muss, ja muss gut enden – und sei es durch ein Wunder. Darauf warten wir, das hält uns in Atem. Denn da sind sanfte, freundliche Seelen, die leicht zerbrochen werden könnten. Da ist kindliche oder erwachsene Eigenständigkeit, mit der man aneckt, die einen sogar aufs Schafott bringen könnte wie „Vogelkopp“ aus der gleichnamigen Erzählung, der einen „hellen Kopf“ hat, weil er ein Nest junger Vögel unter seiner Mütze trägt. Die kann er nun vor der Obrigkeit unmöglich abnehmen.
Wie es ist, nicht ganz so wie andere zu sein, darüber hat Albert Wendt immer wieder geschrieben. „Prinzessin Zartfuß“ hat zwar wirklich schöne Füße, aber selbst ihr Onkel nennt sie „dummes, dickes Ding“. Und sie könnte daran verzweifeln, manchmal tut sie es fast. Aber sie soll sich, wie auch die anderen Gestalten in diesen Geschichten, nicht beirren lassen. So erfindet ihr der Autor eine schaurig-komische Begebenheit, damit sie ihre besonderen Talente beweisen kann.
Demütigungen – schrecklich, was dem Jungen aus „Sauwetterwind“ von seiner Lehrerin widerfährt – Seelenschmerzen werden hier sehr ernst genommen, dann aber auch gnädig aufgelöst. Ich kenne solche Situationen, scheint der Autor uns zu sagen, aber du musst das überstehen. Ich weiß, du hast die Kraft dazu. Einen „Schwalbendrachen“ lässt er herbeifliegen, damit sich die kleine Marianna, die sich für ein Waisenkind hält, endlich an ihre Mutter kuscheln kann („Hipp und Ann“).
Was wir einander liebevoll geben können, es ist doch das Wichtigste im Leben. Dass wir uns öffnen, einander verzeihen, verstehen. Nicht nur Stärke, sondern auch Schwäche achten, wie es in „Der Stolperhahn“ geschieht. Locker bleiben, denn immer wieder kann sich eben etwas ändern, wie für „Prinzessin Wachtelei mit dem goldenen Herzen“, als sie erwachsen wird.
Es gibt in diesem Band Geschichten, die einfach nur voller wunderbarer Erzählfreude sind, wie „Adrian und Lavendel“, wo ein „dicker Märchendichter“ mit einer „zartgeflügelten Dampfwalze“ befreundet ist, aber auch da findet sich ein Seitenhieb gegen die „Ordnungssucht“ als „bedauerliche Krankheit“. Es gibt Bitteres wie „Das Hexenhaus“, wo ein 13-Jähriger ein Bibliothek einrichtet, aber es kommt keiner, also müssen die Büchergeister helfen. Ach, der Stumpfsinn, die Normierungssucht, die Gewalt, um Menschen in ein Schema zu pressen, als seien sie nur dazu da, um zu funktionieren! Für solche ist „Betti Kettenhemd“ die verkörperte „UNORDNUNG“. Ein „verwildertes Kind“, das sich von seiner Angst befreite. „Sie rennt über die Felder … und jubelt starke Worte.“ Sie könnte wohl eine Freundin von Pippi Langstrumpf sein.
Albert Wendt: Geschichten unter einem weiten Himmel. Jungbrunnen Verlag, 189 S., geb., 17 €.