„Interkulturelles Training“
Von Irmtraud Gutschke
„Noch so eine von diesen professionellen West-Schnepfen.“ Das habe ein Freund aus Dresden bei ihrer ersten Begegnung gedacht, wie die Autorin später erfuhr. Bei ihrer Theaterarbeit in den östlichen Bundesländern ist sie immer wieder auf derlei Vorbehalte gestoßen. „Bis mir Pförtner, Techniker, Requisiteurinnen, Maskenbildnerinnen an einem ostdeutschen Theater auch nur ‚Hallo‘ sagen, muss ich nämlich ein verdammtes Charmefeuerwerk abfackeln, was mich immer wider kränkt.“ Auch dass noch nie eine Ostdeutsche ein Ostdeutscher von ihr wissen wollten, welche Erfahrungen sie denn gemacht hatte, in Lübeck.
Dass es Kränkungen auf beiden Seiten gibt, hat sie erst mit der Zeit verstanden. Da hat sie gmeinsam mit dem Hamburger Lichthof-Theater ein Theaterprojekt entwickelt: „RÜBERMACHEN – ein interkulturelles Training für Ost- und Westdeutsche mit 30 Jahren Verspätung“. Ein Treffen mit den ostdeutschen Projektteilnehmern in Halle sei recht emotional verlaufen, schreibt sie.“ Wir erfuhren von Brüchen in Biografien, von in der DDR geprägten Wertvorstellungen und von dem prachtvollen Gemüse, das es nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl zu kaufen gab.“ Als eine Hallenser Teilnehmerin fragte: „Ich wüsste gern, was ihr aus dem Westen in Wahrheit über uns denkt. Haltet ihr uns im Gegensatz zu euch wirklich für so viel dümmer und fauler?, musste die Autorin rausgehen, um nicht vor der Gruppe zu heulen.
Diese Offenheit anderen gegenüber, die eigene Verletzlichkeit nicht verbirgt, macht das Buch so wertvoll. Ein großer Teil ist „oral history“. Sehr verschiedene Menschen mit DDR-Hintergrund erzählen von ihrem Leben. Das geschieht nicht zum ersten Mal auf dem deutschen Buchmarkt. Aber dass es von einer westdeutschen Autorin aufgeschrieben wurde, ist durchaus etwas seltenes.
Dagrun Hintze: Ostkontakt. Ein deutsch-deutsches Date. Mairisch Verlag, 150 S., br., 12 €.