Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Winterschlaf

Hirschkäfer unter dem Eis

Von Irmtraud Gutschke

Dass Bären Winterschlaf halten, dürfte vielen bekannt sein. Aber die Haselmaus auch? Und wie können denn Fischer überleben, wenn der See zugfroren ist? Sterben denn die Insekten nicht? Aber nein! Hirschkäfer können sich unter der Eisschicht in die Erde buddeln. Marienkäfer scharen sich zusammen und finden Unterschlupf hinter Baumrinden, unter Blättern. Igel bauen sich ein Nest aus Blättern und rollen sich zu einer festen Kugel. Im Schlaf sinkt ihre Körpertemperatur stark ab. Wie machen das viele Säugetiere, diese Zeit ohne Nahrung zu überstehen? Was wir nicht können: Sie reduzieren ihren Herzrhythmus und ihre Atemfrequenz.

Schon sehr kleine Kinder interessieren sich ja interessanterweise mehr für Tiere als für alles andere. Über vielen anderen Alltäglichkeiten ist den meisten Erwachsenen dieses Interesse in den Hintergrund gerückt. Es sei denn sie haben Kinder, die ihnen fragen stellen, wie der kleine Junge seiner Großmutter Sylvie in diesem Buch. Es macht mir Freude wie Cinyee Chiu diese Oma gemalt hat, die offenbar auf dem Lande lebt. Nicht mehr schlank, grauhaarig, mit Brille schaut sie lächelnd ihren Enkel an, während sie zusammen durch den Wald gehen. Sie setzt sich neben ihn ins Gras und ist mit ihm ganz still, um unter den letzten Strahlen der Abendsonne mit ihm eine Haselmaus zu beobachten. Schaut euch das an, liebe Eltern und Großeltern. Wann habt ihr das zum letzten Mal gemacht?

Und im Winter geht sie wieder mit dem Jungen zur Waldwiese, die diesmal ganz „öde“ schien. Da weist sie ihn lächelnd hin auf Dinge, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Und die erklärt sie dann auch. Wie es häufig bei guten Kinderbüchern ist: Auch Erwachsene können daraus eine Menge lernen. Die Geschichte von Sean Taylor und Alex Morss ist für Fünf- bis Zehnjährige gedacht. Ich frage mich, ob es danach einen Wechsel von Interessen gibt, hin zu den Beziehungen unter Gleichaltrigen. Etwas gewinnen und etwas verlieren? Letzteres wäre schade. Wenn Kinder irgendwann aufhören sollten, nach Pflanzen und Tieren zu fragen, sollten Erwachsene vielleicht versuchen, die Initiative zu übernehmen. Aber dafür mssten sie erst einmal aus ihrer Alltagshektik aussteigen und still werden wie die Oma im Buch.

Sean Taylor & Alex Morss: Winterschlaf. Vom Überwintern der Tiere. Illustrationen von Cinyee Chiu. Insel Verlag. 32 S., geb., 16,95 €.

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