Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Verkannte Leistungsträger:innen

Gerechtigkeit tut not

„Verkannte Leistungsträger:innen. Berichte aus der Klassengesellschaft“

Von Irmtraud Gutschke

Als die Corona-Pandemie begann, von Abstand und Quarantäne die Rede war und viele Arbeitende sich ins Homeoffice verabschiedeten, saßen sie and er Kasse im Supermarkt, trugen die Post aus, arbeiteten sich kaputt in Krankenhäusern und Pflegeheimen, putzten anderen den Dreck weg und bückten sich auf den Feldern, um Spargel für uns zu ernten. Von „systemrelevanten Berufen“ war damals die Rede. Die Hochachtung, die immerhin in dieser Floskel steckte, drückte sich indes kaum in der Bezahlung aus. In sozialer Sicherheit schon gar nicht.

Wenn jetzt vielleicht eine Erhöhung des Mindestlohns beschlossen werden könnte, was noch nicht sicher ist, so wird es nicht so viel sein, dass die Betreffenden wirklich aufatmen könnten. Tag für Tag über die Runden zu kommen, damit wären sie schon zufrieden. Sozialer Aufstieg ist für sie nicht eingeplant. So trägt das Buch „Verkannte Leistungsträger:innen“ zu Recht den Untertitel „Berichte aus der Klassengesellschaft“, denn es handelt von der Klasse derjenigen, auf deren Ausbeutung nicht nur der Wohlstand der Oberschicht, sondern auch Mittelklasse beruht. Während der Corona-Pandemie konnte sich jeder vorstellen, wie es wäre, würden diese Leute die Gesellschaft nicht am Laufen halten. Oh weh, niemand holt die Mülltonnen ab!

„Der Kapitalismus hat von Anfang an eine Klassengesellschaft hervorgebracht“, stellen Nicole Mayer-Ahuja und Oliver Nachtwey, die beiden Herausgeber, im Vorwort fest. Diese sei „ein ökonomisch begründetes und politisch wie kulturell verstärktes Korsett, das Lebenschancen beschneidet und persönliche Hoffnungen und Wünsche  in Bezug auf Arbeit und Privatleben allzu oft an ‚Realitäten‘ scheitern lässt“. Konkret wird dies anhand von 22r Lebensberichten dargestellt, häufig in Form von Interviews. Den Anfang macht eine Kita-Erzieherin, den Schluss eine Friseurin. Hinzu kommen viele, die ihrer Arbeit oft unsichtbar für die Allgemeinheit verrichten. Mit dem Buch bekommen sie noch keinen höheren Lohn und noch nicht die notwendige Anerkennung, aber vielleicht doch ein wenig mehr Aufmerksamkeit.

Nicole Mayer-Ahuja, Oliver Nachtwey (Hg.): Verkannte Leistungsträger:innen. Edition Suhrkamp, 567 S., br., 22 €.

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