Nach der Hinrichtung
Lavinia Branişte: Rumänien heute mit den Augen einer jungen Frau
Von Irmtraud Gutschke
Beim Schreiben sich selbst preisgeben, gerade, wenn es schmerzhaft ist: Es ist dieser Mut, der den Roman von Lavinia Branişte so eindringlich macht. Eine junge Frau namens Sonia offenbart sich im „Durcheinander der Gefühle“, ihrer „Müdigkeit“. Irgendwie habe ich beim Lesen an Elena Ferrantes „Neapolitanische Saga“ denken müssen, obwohl der Hintergrund ein völlig anderer ist. „Man setzt sich der Öffentlichkeit aus und das kostet. Aus deiner Geste der Großzügigkeit entsteht ein Bumerang-Effekt.“ Das sagt Vlad Petre, der Sonia – ohne Vertrag, mit vagem Honorarversprechen – für ein Drehbuch engagiert hat, ein 45-jähriger Regisseur, „der sich seit zwanzig Jahren wünscht, mit einem Spielfilm zu debütieren“. Um Nicolae Ceauşescus Gattin Elena und beider Tochter Zoia sollte es gehen. Die ging mit vielen Männern aus, und die Mutter ließ sie vom Geheimdienst Securitate überwachen. (Was nicht im Buch steht: Elena war einst Prostituierte gewesen.) Als Zoia mit einem Mathematiker-Kollegen für ein Wochenende verschwand, habe die Mutter das ganze Institut mit 100 Mitarbeitern schließen lassen. War es wirklich so? Vlad Petre möchte den Film mit einer Sexszene beginnen lassen, die gewaltsam unterbrochen wird. Sonia aber überlegt, dass sie 1989, als die Ceauşescus hingerichtet wurden, gerade geboren war. Die Bilder kennt sie bis zum Überdruss aus dem Fernsehen.
Wie viele Bücher sie im Laufe der Romanhandlung liest, wie viele Gespräche sie führt, wie sie immer neue Textentwürfe an Vlad Petre schickt, der nie zufrieden ist – wie sie im Präsens davon spricht, in klaren Sätzen, zieht sie uns lesend an ihre Seite. Ihre Nachdenklichkeit überträgt sich. Selbst Zeitzeugen können kaum verlässlich Auskunft geben, weil sich Erinnerungen einfärben. Ein „Fass ohne Boden“. Ein „Mosaik aus Scherben“ – Paul, mit dem Sonia zeitweise eine Wohnung teilt, nennt es „eine Wolke aus aufgelockerter Schurwolle, aus der man sich so viele Fäden herausziehen und verweben kann, wie man möchte“.
Paul gibt zu ihren Recherchen nur sarkastische Kommentare ab. Die Mutter hilft ihr auch nicht weiter. Der Hass auf den Vater, der sie wegen einer anderen Frau verließ, hat ihre Beziehung vergiftet. Nun, da der Vater tot ist, interessiert sich Sonia für ihn und zieht für einige Zeit zum Großvater, nachdem sie Paul verlassen hat. Der sah sich als „Feminist“ und verschwieg, dass er verheiratet ist. Irgendwie scheint überall so ein Schweigen zu sein, nicht nur bei den Alten. Jeder hat mit sich zu tun, zumal in dem Milieu, das hier beschrieben wird. Junge Leute, die aus ihrem kulturellen Kapital geistige Befriedigung schöpfen, aber davon kaum leben können. Mit kämpferischen Ideen geschmückt, verdingen sie sich wie Tagelöhner. Die Autorin urteilt nicht, sie beschreibt nur: wie Sonia keinen Plastikalm zur Limonade will, Vlad aber zwei im Glas hat, wie sie mit ihrem schwulen Freund Dani, mit dem sie besser reden kann als mit Paul, eine schräge Kunstausstellung besucht – dort, wo früher der Geheimdienst residierte, wie eine kroatische Künstlerin in einer Kirche ein Kunstprojekt namens „Aschermittwoch“ zelebriert, bei dem zwei Strohmonster verbrannt werden. Hauptsache Event.
Dass dieses Buch in Rumänien Furore machte, lässt sich denken. Bilder der Not – wie nebenbei tauchen sie auf. „Es war nicht besser, aber uns ging es besser“, sagt ein alter Professor. Ein ehemaliger Securitate-Mann, völlig heruntergekommen, spricht von „Vitamin B“, das immer nötig ist. Was hätte ich getan, fragt sich Sonia. Und irgendwann kommt ihr der Gedanke, dass es „Probleme der Reichen“ sind, über die sie da schreiben soll. Die Hinrichtung als Medienereignis, damit alle bei null anfangen konnten, „frei und ohne Sünde“. Einige hielten an Privilegien fest, um „sich weiterhin diskret um ihr eigenes Leben“ zu kümmern. Andere blieben arm. Was Sonias besitzt ist nur eine kleine kranke Katze.
Lavinia Branişte: Sonia meldet sich. Roman. Aus dem Rumänischen von Manuela Klenke. Verlag Mikrotext, 320 S., br., 19,99 €.
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